Forschung - 08.02.2021 - 00:00 

Trading Apps verleiten zu risikoreichem Anlageverhalten

Die jüngsten Vorkommnisse rund um die GameStop-Wetten an der Börse verdeutlichen, dass sich der Wertschriftenhandel für Kleinanleger und Kleinanlegerinnen im Umbruch befindet. Neue Online-Plattformen und Trading-Apps bieten einen kostengünstigen, direkten Zugang zu den Finanzmärkten für alle. Deren Anbieter werden jedoch immer wieder kritisiert, ihre Nutzer und Nutzerinnen zu finanziellem Risikoverhalten zu verleiten. Eine neue Studie bekräftigt nun diese Vorwürfe.
Quelle: HSG Newsroom

8. Februar 2021. Was früher aufwändig über eine Fachperson einer Bank abgewickelt werden musste, kann heute über den Computer oder das Smartphone kinderleicht mit wenigen Klicks erledigt werden: Der Handel mit Aktien und anderen Wertpapieren über Trading-Apps oder Online-Plattformen wie jene von Swissquote oder der Saxo-Bank werden immer beliebter. Alleine zu Beginn der Corona Pandemie im März 2020 nahmen die Kontoeröffnungen bei den beiden Anbietern um bis zu fünfmal mehr zu als in der Vergleichsperiode des Vorjahres. Zudem drängen, oft ausgehend von den USA, neue Online-Broker wie Robinhood mit bereits mehr als 13 Millionen aktiven Nutzenden nach Europa. Mehrere Faktoren treiben den Erfolg dieser Online-Dienste an: Anleger und Anlegerinnen können durch sie schon mit kleinen Beträgen in verschiedene Märkte investieren. Zudem ist der digitale Wertschriften-Handel relativ kostengünstig, rund um die Uhr abwickelbar, und die dazugehörigen Trading-Apps sind äusserst benutzerfreundlich.

Ähnlich wie ein Glücksspiel

Vermehrt wird jedoch auch Kritik an diesen Plattformen laut. Denn sie erleichtern neuen Kundensegmenten wie jungen Erwachsenen oder Personen mit begrenzten finanziellen Mitteln und Anlageerfahrung den Einstieg ins Börsengeschäft. Dazu kommt, dass der Handel auf den Apps oftmals wie ein Glücksspiel präsentiert wird. Bei Robinhood genügt etwa ein Wish über den Bildschirm und die Aktie ist gekauft. Dieses glücksspielähnliche Design der Plattformen könne so die jungen Anleger und Anlegerinnen zu riskanten Transaktionen verleiten, lautet daher die Kritik. Robinhood steht in den USA bereits wegen unzureichendem Schutz von unerfahrenen Investierenden bei glückspielähnlichen Wetten unter Anklage.

Broker verdienen an jeder Transaktion

Die Online-Broker bauen auf unterschiedliche Geschäftsmodelle. Viele erheben für jede einzelne Transaktion eine Gebühr. Sie haben also ein finanzielles Interesse daran, dass Nutzende möglichst viel traden. «Portfolioumschichtungen können für die Anleger und Anlegerinnen in gewissen Situationen Sinn machen. Häufiges Trading bringt ihnen im Durchschnitt jedoch keinen Mehrwert, sondern reduziert sogar ihre Performance», sagt Prof. Dr. Marc Arnold vom Institut für Accounting, Controlling und Auditing der HSG (ACA-HSG), der eine Studie über die neuen Online-Broker mitverfasst hat. «Mit aktivem Trading ist man auf den einzelnen Transaktionen zwar zufällig mal besser, dann aber auch wieder mal schlechter als der Markt. Im Durchschnitt heben sich diese Effekte schon nach sehr kurzer Zeit gegenseitig auf. Aber die Handelskosten der Nutzenden einer Online-Plattform steigen beim aktiven Trading durch die kumulierten Gebühren. Das erhöht zwar den Gewinn der Online-Broker, reduziert jedoch die Performance der Anleger und Anlegerinnen massiv.» Ein weiterer kritischer Punkt ist die digitale Kommunikation der Broker mit den Investierenden über die Trading-Apps. Denn sie ermöglichen den Anbietern nicht nur das Verhalten der Nutzenden via Cookies genau zu verfolgen, sondern auch individualisierte Nachrichten oder Pop-Ups an diese zu versenden. Dies bietet den Online-Brokern die Möglichkeit, das Trading-Verhalten der Investierenden zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Push-Meldungen verleiten zu mehr Risiko

Dass die von den Anbietern versendeten Nachrichten einen signifikanten Einfluss auf das Trading-Verhalten der Nutzenden haben, belegt nun die Studie, die von Prof. Dr. Marc Arnold vom ACA-HSG in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Matthias Pelster von der Universität Paderborn und Prof. Dr. Marti Subrahmanyam von der New York University durchgeführt wurde. Für ihre Arbeit haben die Forscher Handels-Daten von über 240'000 Kunden und Kundinnen eines Online-Brokers über einen Zeitraum von rund zwei Jahren ausgewertet.  Dabei fokussierten sie auf die digitale Kommunikation des Anbieters mit den Anlegern und Anlegerinnen. Ein intuitiv offensichtlicher Effekt ist gemäss der Studie, dass Nutzende um ein Vielfaches häufiger handeln, nachdem sie eine Push-Meldung vom Broker erhalten haben. Weniger offensichtlich, aber nicht minder relevant ist der zweite wichtige Befund der Forscher: Sie konnten zeigen, dass die Investierenden nach Erhalt einer Message ein signifikant höheres Risiko eingehen. Ein Befund, der nicht nur sozial-, sondern auch wirtschaftspolitisch relevant sein dürfte: «Man könnte argumentieren, dass systemische Risiken zunehmen, wenn viele Leute beginnen, risikoreicher zu traden.  Das ist jedoch nur eine Hypothese, die weiterer Forschung bedarf», so Prof. Dr. Marc Arnold. Drängender erscheint ihm aber die sozialpolitische Implikation der Studie: «Es ist bedenklich, wenn die durch das Online-Trading erreichte Kundengruppe mit begrenzten finanziellen Mitteln zu höheren Risiken und somit zu einer Art Glücksspiel verleitet wird.»

Interessenskonflikt zwischen Anbietern und Kunden

Brisant erscheint der Befund der Studie betreffend der erhöhten Risikobereitschaft vor allem auch vor dem Hintergrund, dass die Broker häufig höhere Gebühren für riskantere Transaktionen einstreichen. Zudem ziehen gewagtere Investitionen tendenziell auch wieder eine höhere Handelskadenz mit sich, was die Einnahmen der Anbieter durch die so kumulierten Gebühren zusätzlich steigert. «Es besteht derzeit ein eklatanter Interessenskonflikt zwischen den Online-Brokern und ihren Kunden und Kundinnen», fasst Prof. Dr. Marc Arnold die Thematik zusammen. «Die Online-Broker möchten die verdienten Trading-Gebühren maximieren. Dazu stimulieren sie die Anleger und Anlegerinnen zu häufigen und risikoreichen Trades, was wiederum deren Performance und Risikoprofil negativ beeinflusst.»  Wenn dieser Interessenskonflikt überwunden werden könnte, sähe er aber auch grosses Potential im Online-Trading und der digitalen Interaktion zwischen Anbietern und Nutzenden. So sei es durchaus denkbar, dass individualisierte Nachrichten eingesetzt werden könnten, um das Anlageverhalten von Individuen zu optimieren. «Grundsätzlich wäre es einfach für die Broker, das Risiko und die Diversifikation jedes Anlegerportfolios automatisch zu messen und zu überwachen. Bei gewissen Auffälligkeiten könnten die Broker dann zum Beispiel eine Warnung per SMS oder Pop-Up an die Anleger schicken. Auch könnten Accounts bei Anzeichen einer Spielsucht gesperrt werden.» Damit das Potential des Online-Trading sinnvoll genutzt werden kann, brauche es jedoch frühzeitig einen konstruktiven Diskurs über die Möglichkeiten, Grenzen und Gefahren dieser Entwicklung.

Bild: Adobe Stock / Oran Tantapakul

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