Hintergrund - 26.11.2018 - 00:00 

Karrierepfade nach dem Doktorat

Wissenschaftliche Laufbahn oder Privatwirtschaft – welche Karrierepfade gibt es nach dem Doktorat? Ein Interview von Dana Sindermann mit Judith Schwanke und Sabrina Helmer vom Young Investigator Programme (YIP).
Quelle: HSG Newsroom

26. November 2018. Wenn man beginnt in der Wissenschaft zu arbeiten, und das beginnt meist mit der Stelle als wissenschaftliche Assistierende, kommt schnell die Frage auf: Wie soll die Karriere weitergehen – Akademia oder Nicht-Akademia? Das Denken, dass Wissenschaft auf der einen und die Praxis auf der anderen Seite steht, ist nicht nur unter Doktorierenden und PostDocs weit verbreitet. Aber wie überzeugend ist diese Denke? Was sind Alternativen zu dieser dualistischen Perspektive, gerade auch, wenn es darum geht, berufliche Zukunftswege auszuloten? Dana Sindermann hat hierüber mit Judith Schwanke und Sabrina Helmer vom Young Investigator Programme (YIP) gesprochen.

Der Karriereweg an der Uni ist, wenn man eine sichere Stelle anstrebt, enorm kompetitiv. Viele Doktorierende sehen ihre Zukunft in der Wissenschaft. Und der einzige Weg dieses Ziel langfristig zu erreichen ist die Professur. Ihr habt im Zuge eurer Kursangebote viel Kontakt zu Doktorierenden. Was ist hier euer Eindruck, warum möchten so viele Doktorierende an der Uni bleiben?  

Schwanke: Wenn ich mit der Zielgruppe spreche, dann höre ich von vielen, dass sie wissenschaftlich arbeiten möchten – mit allen Sachen, die dazu gehören. Also an wenig vordefinierten Inhalten arbeiten, sich eigenverantwortlich in ein Thema vertiefen, dabei interessante Fragestellungen entwerfen, eigene Ideen einbringen. Auch das Fachthema weiterzuentwickeln und sich mit anderen darüber auszutauschen – das macht praktisch allen Spass. Und das wollen viele beibehalten.

Und wie realistisch ist es, seinen Platz in der Wissenschaft zu bekommen? Es ist ja allgemein bekannt, dass der Wettbewerb um eine feste Professur hoch kompetitiv ist.

Schwanke: Hier liegen uns Zahlen aus Deutschland vor, die über alle Fächer hinweg erhoben wurden: Demnach erhalten von allen Doktorierenden, die ein Doktorat beginnen, am Ende etwa sechs Prozent eine Professur. Bei den PostDocs sind es etwa ein Drittel. Was wir für die HSG wissen – hier haben wir die Laufbahnstationen von Alumni, die zwischen 2005 und 2007 promoviert wurden, verfolgt: Mehr als 70 Prozent gehen weg von der Uni in die Privatwirtschaft oder den öffentlichen Bereich. Und 29 Prozent sind an einer Hochschule beschäftigt. Im Hochschulbereich haben wir wiederum eine Dreiteilung: Forschung, Lehre und Wissenschaftsmanagement. Und vor dem Hintergrund dieser Zahlen, finde ich, ist das ein bisschen unangemessen, wenn man sich nur um den einen Karrierepfad, also die Professur, kümmert.

Sollte man also lieber gleich den Fokus anders setzen?

Schwanke: Ich würde nicht unbedingt sagen, dass der Fokus anders gesetzt werden muss. Sondern, es ist hilfreich ihn zu erweitern und zu fragen: Was für Möglichkeiten gibt es neben der Universitätskarriere? Wo kann ich noch wissenschaftsnah arbeiten? Und diesen Möglichkeitsraum wollen wir unseren Doktorierenden eröffnen.

Welche Motivation steckt hinter eurem Engagement und Angebot? Eigentlich könnte man doch sagen: Kernaufgabe einer Universität ist auf Doktoratsebene die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Punkt.

Schwanke: Hier kommen wir jetzt in den Bereich Wissenstransfer. Wissenstransfer ist eine wichtige Aufgabe der Uni. Also das Wissen, das wir hier erwerben, wollen wir nicht im Elfenbeinturm belassen. Sondern das darf und soll auch rausgetragen werden.

Die Universität ist zu einem grossen Teil öffentlich finanziert, sie ist in einen gesellschaftlichen Kontext eingebunden und insofern der Gesellschaft auch verpflichtet. Das gehört vielleicht auch zusammen, dass man etwas zurückgibt, von demjenigen, von dem man etwas erhält?!

Helmer: Wir wollen informieren und aufzeigen, was für Möglichkeiten es noch gibt. Du selbst hast grosses Potenzial, weißt aber nicht, wie passt das Puzzle da von aussen rein? Wir können vielleicht auch ein paar Puzzleteile liefern. Wir versuchen also mögliche Matches ausserhalb der Universitätskarriere aufzuzeigen: Gibt es ein Match für mein Potenzial und wie könnte dieser aussehen? Auch gemäss unserem Motto: Empower yourself!

Wo findet man euch? In welchem Rahmen können sich Interessierte über diese Möglichkeiten informieren?

Schwanke: Wir bieten zwei unterschiedliche Herangehensweisen, sich mit dem Thema «Future me» auseinanderzusetzen. Einerseits haben wir in Kooperation mit unseren Student Career Services ein regelmässiges Workshopformat «Wie weiter nach der Diss?». Die Idee dieses Workshops ist: Wie sieht der Arbeitsmarkt gerade auch für promovierte HSGler/innen aus? Wie stellt sich dieser Arbeitsmarkt in der Zukunft dar, was sind Trends auf dem Arbeitsmarkt? Und wo könntest Du dich mit deinen Talenten auf diesem Arbeitsmarkt wieder finden? Dieses Format ist also von der Seite des Arbeitsmarktes her hin zu den Promovierten und PostDocs orientiert. Und wir haben ein weiteres Angebot, in dem wir die Frage von der anderen Seite, vom Individuum her, stellen. Das ist der Kurs «Designing your life», den wir in Kooperation mit Dr. Sebastian Kernbach vom MCM-HSG durchführen. Hier fragen wir: Wie kannst Du dein Leben so gestalten, dass Du es als erfüllend und sinnstiftend erlebst? Was sind deine Hauptbedürfnisse an ein solches Leben? Welche – womöglich auch abwegigen – Ideen von Traumjobs hast Du? Und wie kannst Du statt zu träumen direkt anfangen, deine Nische auf dem Arbeitsmarkt zu finden bzw. zu kreieren?

Aber insgesamt ist die Idee, Alternativen zur Universitätskarriere aufzuzeigen und die Doktorierenden und PostDocs auf diesem möglichen neuen Weg zu begleiten?!

Schwanke: Es geht immer darum, dem Fakt ins Auge zu sehen, dass die eigene Stelle in ein oder zwei Jahren ausläuft. Und deshalb schon früh ein Gleis oder mehrere Gleise zu legen für eine Zukunft nach dem Doktorat. Was wir da machen ist Prozessberatung und -begleitung. Wer für eine Professur die entsprechenden fachlichen Voraussetzungen und persönlichen Vorlieben mitbringt, wird auf diesem Weg unterstützt. Wer sein Lebensglück nicht in einer Professur verwirklicht sieht, die oder den begleiten wir in dem Prozess, sich von der Universität zu lösen.

Und zu welchem Zeitpunkt sollte man sich hier am besten beginnen zu orientieren?

Schwanke: Es ist nie zu früh. «Aufschieberitis» ist – glaub ich – das schlimmste, was man machen kann: Deshalb, bevor dieser ganze Dissertationsendstress beginnt, sollte man sich schon Gedanken darum machen. Für Doktorierende in einer ganz frühen Phase des Doktorats haben wir deshalb wiederum in Kooperation mit den Student Career Services den Workshop «Dr. HSG – wieso, weshalb, warum?» entwickelt. Hier regen wir dazu an, sich schon ganz früh mit den eigenen Motivationen, Zielsetzungen und Laufbahnabsichten, die mit dem Doktorat verbunden sind, auseinanderzusetzen.   

Wir hatten am Anfang die Feststellung, und diese Erfahrung mache ich als Doktorandin auch persönlich, dass das Bild herrscht: Auf der einen Seite der wissenschaftliche Karrierepfad, auf der anderen Seite die Praxis, oder immer wieder die Frage: Möchtest Du an der Uni bleiben oder in die Praxis gehen? Für wie überzeugend haltet ihr diese dualistische Perspektive?

Schwanke: Meines Erachtens ist real keine Dichotomie da, wenn man von der Frage ausgeht, was tue ich konkret während meiner Arbeitswoche und innerhalb welcher Rahmenbedingungen übe ich meinen Job aus? Also beispielsweise wie komplex sind die Problemstellungen, die auch bearbeiten darf, inwiefern kann ich hier innovative Konzepte entwickeln, wieviel Eigeninitiative darf ich einbringen und wie autonom meine Arbeit organisieren? Und nicht: bleibe ich an der Uni oder geh ich raus.

Dann schauen wir doch jetzt mal konkret. Viele Doktorierende wollen wissenschaftsnah weiterarbeiten: an einer Frage, einem Thema weiterdenken und –schreiben, Erkenntnis gewinnen und diese Erkenntnis einer wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Verfügung stellen. Welche Möglichkeiten gibt es denn alternativ zur Uni in dieser Art und Weise weiter zu arbeiten?  

Schwanke: Hier sind Thinktanks, Stiftungen, NGO’s oder unabhängige Forschungsinstitute interessante Arbeitgeber. Wenn man beispielsweise bei Avenir Swiss arbeitet, dem grossen Schweizer Thinkthank, würde ich unterstellen, die Tätigkeit ist nicht gross anders als die, die man an einem Forschungsinstitut der HSG kennen gelernt hat. Das ist vielleicht eine andere Forschungsleistung, weil ich forsche in dem Moment nicht für die wissenschaftliche Gemeinschaft, sondern ich forsche direkt für die Gesellschaft und präsentiere meine Forschung in einer anderen Form. Aber die Art und Weise, wie ich die Daten erhebe und wie ich zu meinen Ansichten komme, die ist doch ganz ähnlich.

Helmer: Oder die Professur an einer Fachhochschule. Viele Doktorierenden sind möglicherweise zu wenig darüber informiert, was eine Fachhochschule bieten kann.

 
Nun beratet ihr ja regelmässig Doktorierende in Bezug auf die Frage, wie soll es beruflich weitergehen? Und welche Möglichkeiten gibt es wissenschaftsnah ausserhalb der Uni zu arbeiten? Wie gross ist die Offenheit für diese neuen Möglichkeitsräume?  

Schwanke: Was ich sehe, wenn ich Doktorierende oder PostDocs berate: Der Schritt nach draussen fällt vielen schwer. Das ist oft eine lange Entscheidung, mit der sie auch kämpfen. Denn sie müssen sich von einem Lebensmodell verabschieden und erstmal eine neue Identität für sich in einem ausseruniversitären Leben aufbauen und das tut man nicht von heute auf morgen. Das ist ein Prozess und deshalb ist es auch so wichtig, dass man begleitet wird, auch über Monate und womöglich ein, zwei Jahre hinweg.

Was ist eure Erfahrung, was macht es den Leuten so schwer, die Uni zu verlassen?

Schwanke: Ich glaube, das liegt vor allem daran, dass man das Feld draussen und auch die eigenen überfachlichen Kompetenzen zu wenig kennt. Auch wenn mit einem akademischen Karriereweg ein hohes Risiko verbunden ist, fühlt man sich hier im Uni-Umfeld doch noch innerhalb der eigenen Komfortzone. Man kennt mittlerweile die Arbeitskultur, die Spielregeln, die ungeschriebenen Gesetze und hat sich ein gewisses Netzwerk aufgebaut. Das gibt dann doch noch ein unmittelbares Sicherheitsgefühl. Auch wenn der Teppich, auf dem man sich bewegt, super unsicher ist.

Ihr untersucht zurzeit ja die Karrierepfade von doktorierten HSG-Alumni und habt hier mit dem einen oder anderen noch Kontakt. Wie geht es denn denjenigen, die ausseruniversitär arbeiten?

Schwanke: Die, mit denen ich noch in Kontakt bin, die jetzt ausserhalb Akademia arbeiten, sind alle ziemlich glücklich und sagen im Nachhinein: Mensch, warum hab’ ich mich damals so schwer getan? Mir geht es super mit dem neuen Lebensmodell! Ich hab’ mal wieder Wochenende! Und ich hab’ auch nicht das Gefühl, ich muss immer etwas machen und wenn ich in den Ferien bin, dann darf ich einen Roman lesen statt einen Fachartikel.

Helmer: Meist ist es sicherer. Im Vergleich zur Etablierungsphase der Universitätskarriere hast Du mit hoher Wahrscheinlichkeit einen sichereren Vertrag. Fünf Jahre nach dem Doktorat sind viele noch in der PostDoc-Phase. Und in dieser Phase wird die Unsicherheit auch nicht geringer.


Das Young Investigator Programme bietet regelmässig Workshops zum Thema Karrierewege nach dem Doktorat an.

Die Autorin, Dana Sindermann, ist wissenschaftliche Assistentin am Institut für Wirtschaftsethik.

Bild: Photocase / zettberlin

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