Meinungen - 20.10.2020 - 00:00
20. Oktober 2020. In diesem Monat feiert die Universität St.Gallen (HSG) erstmals in ihrer Geschichte einen Pride Month. Hauptanliegen dieses Monats ist die Sichtbarkeit und Sensibilisierung für LGBT+ Themen zu fördern. Im rechtlichen Kontext sind LGBT+ Menschen dagegen nach wie vor nicht gleichberechtigt. Weder die Eingehung der Ehe noch der Zugang zu fortpflanzungsmedizinischen Verfahren bzw. die gemeinsame Adoption sind gleichgeschlechtlichen Paaren in der Schweiz erlaubt. Im Interview erzählt Thomas Geiser über den Umgang der eigenen Identität am Arbeitsplatz, weshalb die Öffnung der Ehe gesellschaftlich wichtig ist und wieso das amtliche Geschlecht abgeschafft gehört. Ein Beitrag von Studentenreporter Sascha Duric.
Herr Geiser, in der Arbeitswelt gingen Sie stets offen mit Ihrer sexuellen Orientierung um. Für viele LGBT+ Studierende ist dieser Schritt hingegen eine grosse Überwindung. Was müsste sich Ihrer Meinung nach im Arbeitsrecht noch verändern, damit LGBT+ Arbeitnehmende vor allfälliger Benachteiligung besser geschützt werden?
Bedauerlicherweise gibt es in der Arbeitswelt immer noch verschiedene Formen von Diskriminierung. Persönlich erachte ich es durchaus als äussert sinnvoll sich bereits beim Anstellungsgespräch zu outen, da man sich sonst in der zukünftigen Position nicht wohl fühlen wird, wenn solche Kriterien schon bei der Anstellung negativ bewertet werden. Eine weitere Herausforderung ergibt sich danach am Arbeitsplatz selbst. Hier widerspiegeln sich diverse gesellschaftliche Haltungen und diese können zu unangenehmen Situationen führen. Allerdings unterscheidet sich dies von Beruf zu Beruf, von Branche zu Branche erheblich. Des Weiteren fehlt im Arbeitsrecht grundsätzlich ein allgemeines Diskriminierungsverbot, doch ob dies sämtliche Probleme lösen würde, bleibt zu bezweifeln.
Seit 39 Jahren leben Sie mit Ihrem Partner zusammen, davon 13 Jahre in eingetragener Partnerschaft. Gleichzeitig debattiert die Politik über die Öffnung des Instituts der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Ist die Schweiz bereit für eine «Ehe für alle»?
Ich glaube durchaus, dass die Schweiz für eine «Ehe für alle» bereit ist. Der gesellschaftliche Wandel zeigte sich bereits bei der Volksabstimmung zum Partnerschaftsgesetz im Jahre 2005, als der Gesetzesentwurf von einer überwiegenden Mehrheit angenommen wurde. Einerseits wäre die Öffnung des Instituts der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare wichtig bezüglich Fragen beim Zugang zu fortpflanzungsmedizinischen Verfahren oder der Adoption und andererseits schafft die Öffnung des Instituts der Ehe ein klares gesellschaftliches Signal, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen gleichwertig wie verschiedengeschlechtliche Beziehungen sind.
Vor gut zwei Jahren wurde in Deutschland das dritte Geschlecht «divers» gesetzlich eingeführt. So ergänzt auch die HSG ihre Stelleninserate mit dem Zusatz «m/w/d». Welche Herausforderungen sehen Sie in der rechtlichen Einführung des dritten Geschlechts in der Schweiz?
Grundsätzlich ist die rechtliche Anerkennung des dritten Geschlechts auch hierzulande ohne grössere Herausforderungen möglich. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass es aus juristischer Sicht am besten wäre das amtliche Geschlecht komplett abzuschaffen. Es besteht überhaupt kein Grund, weshalb amtlich festgelegt werden muss, ob eine Person nun männlich oder weiblich ist. Bei der Anerkennung eines weiteren Geschlechts hätte man zwar drei Varianten, doch nur durch die Abschaffung des amtlichen Geschlechts würden auch Personen erfasst, welche sich im Geschlechterdualismus nicht festlegen wollen oder können. Ferner würde sich dieser Schritt ebenfalls positiv auf die derzeitige Differenzierung in Bezug auf die Wehrpflicht oder das AHV-Alter auswirken.
In der Schweiz wird es wohl noch Jahre dauern, bis LGBT+ Personen rechtlich gleichbehandelt werden. Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Für die Zukunft wünsche ich mir, dass ein Kampf für gleiche Rechte nicht mehr notwendig wird, da gleiche Rechte für alle gelten werden. Dennoch muss erwähnt werden, dass im Vergleich zu meiner Jugendzeit bereits heute ein enormer positiver gesellschaftlicher Wandel ersichtlich ist. Wünschenswert wäre es ebenso, dass die Schweizerische Gesellschaft offener für diverser Lebensformen und Beziehungskonstellationen (z.B. Regenbogenfamilien) wird. Solange es jedoch keine gleichen Rechte für alle gibt, geht der Kampf nach Gleichberechtigung weiter.
Prof. em. Dr. Dr. h.c. Thomas Geiser ist ehemaliger Professor für Privat- und Handelsrecht an der Universität St.Gallen. Sascha Duric studiert Rechtswissenschaften im Master-Programm.
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