Campus - 29.09.2020 - 00:00 

Daniel Koch sorgt sich um freiheitliches System

«Man kann meines Erachtens nicht genug tun, um eine zweite Welle der Pandemie zu verhindern», betonte «Mister Corona» Daniel Koch an einer Öffentlichen Vorlesung im Audimax der HSG. Nach den Langzeitfolgen der Coronakrise gefragt, drückte er seine Sorgen um unser freiheitliches System aus.
Quelle: HSG Newsroom

 

29. September 2020. Am zweiten Abend der Ringvorlesung «Nach der Corona-Pandemie: Bleibt alles anders?» unterhielt sich PD Dr. Claudia Franziska Brühwiler mit Daniel Koch, dem ehemaligen Leiter der Abteilung «Übertragbare Krankheiten» beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). Durch die Medien wisse die Schweizer Bevölkerung vieles über «Mister Corona», stieg sie in das Gespräch ein. Man sei darüber informiert, dass er mit seinen Hunden trainiere, an Heuschnupfen leide, gern in der Aare bade und unglaublich kälteresistent sei.

Normaler Mensch mit Ecken und Kanten

Die Öffentlichkeit wisse zwar tatsächlich vieles über ihn, zum Glück aber doch nicht alles, antwortete Daniel Koch auf die Frage, was über ihn noch nicht bekannt sei. Er sei froh über das Recht, manche Dinge privat halten zu dürfen. Soviel aber könne er sagen: «Ich bin ein ganz normaler Mensch mit Höhen und Tiefen, Ecken und Kanten.»

Dem Bundesamt für Gesundheit sei etwa Mitte Januar bewusst gewesen, dass die neu aufgetretene Lungenkrankheit eine besondere Situation bedeute, schilderte er die erste Zeit nach dem Bekanntwerden der Coronavirus-Verbreitung. Die Grössenordnung sei aber auch Ende des Monats noch nicht einschätzbar gewesen. «Als in Italien eine Häufung der Todesfälle auftrat, war schnell klar, dass die Lage ernst ist. Überrascht wurden wir aber von der Tatsache, dass sich bereits viele Menschen bei einem Besuch in Norditalien mit dem Virus angesteckt und es in die Schweiz gebracht hatten.» Auf allen Ebenen habe man sich danach intensiv mit der Pandemie beschäftigt.

Virus hält sich nicht an einen Pandemieplan

Der Influenza-Pandemieplan der Schweiz habe durchaus seine Aufgabe erfüllt, erklärte Daniel Koch weiter. Wichtig zu wissen sei aber auch, dass man den Inhalt kaum je 1:1 umsetzen könne. «Ein neues Virus hält sich nicht an einen Plan», betonte er. Zu glauben, man könne sich in allen Details auf eine Krise vorbereiten, sei eine Illusion. Eine Krise sei eben gerade dadurch definiert, dass – zumindest vorübergehend – Ressourcen fehlten und es zu einem Mangel komme. Im Falle der Corona-Pandemie sei dies beispielsweise mit den Atemschutzmasken geschehen. Gerade weil ein Pandemieplan nicht wie ein Kochbuch funktioniere, sei es umso wichtiger, flexibel zu bleiben und auf Unvorhergesehenes rasch zu reagieren.

Im Verlauf der Pandemie habe sich eindrücklich gezeigt, dass das neue Virus nicht an Landesgrenzen halt mache, leitete Claudia Brühweiler zur Frage über, ob die Massnahmen nicht dringend länderübergreifend koordiniert werden müssten. Er befürchte, dass Europa derzeit noch nicht dazu in der Lage sei, antwortete Daniel Koch. Jedoch sei er überzeugt, dass es die Zeit nach der Krise nutzen werde, um besser auf eine nächste Pandemie vorbereitet zu sein.

Verbotskultur verspricht wenig Erfolg

Aus dem Publikum wurden an der Öffentlichen Vorlesung zahlreiche, teilweise auch kritische Fragen gestellt. Ob der Bund angesichts der steigenden Fallzahlen nicht dringend strengere und einheitlichere Verbote aussprechen müsste, lautete eine davon. Gerade in der Schweiz sei seiner Meinung nach eine Verbotskultur nicht erfolgsversprechend, erklärte Daniel Koch. Als viel wichtiger erachte er es, den Leute zu erklären, was das Problem sei und wie sie ihren Beitrag zur Lösung beitragen könnten. Die Wirkung des Aufklärens zeige sich beispielsweise beim Impfen. Die Schweiz kenne keine generelle Impfpflicht und trotzdem sei die Impfquote gut.

Seiner Meinung nach könne man nicht genug tun, um eine zweite Welle zu verhindern. «Steigen die Fallzahlen unkontrolliert, wird der Ruf nach strengen Massnahmen und Verboten sehr laut werden. Davor habe ich ehrlich gesagt etwas Angst. Denn wir Menschen haben nicht nur das Bedürfnis gesund zu bleiben, sondern auch Bedürfnisse, welche das soziale, kulturelle oder wirtschaftliche Leben betreffen.»

Ein Patentrezept gegen eine Pandemie gibt es nicht

Leider gebe es kein Patenrezept, wie man eine Pandemie am besten und schnellsten in den Griff bekomme. Stets sei jedoch abzuwägen, was eine Massnahme an positiven und negativen Folgen habe. Als Beispiel nannte Daniel Koch die Situation in einigen Entwicklungsländern, in denen durch den Lockdown das Impfsystem gegen verschiedene Krankheiten unterbrochen wurde. Er sei sehr besorgt, dass dadurch vor allem auch bei Kindern viele Todesfälle zu beklagen sein werden.

Eine Votantin äusserte ihre Überzeugung, dass ein allfällig im nächsten Jahr zugelassener Impfstoff gegen Corona keinesfalls sicher sein könne, da er nicht über mehrere Jahre getestet worden sei. Er habe volles Vertrauen in die Zulassungsbehörden, entgegnete Daniel Koch. Sie würden sich nicht drängen lassen und einen Impfstoff erst dann zulassen, wenn er genügend geprüft sei.

Zum freiheitlichen System Sorge tragen

Die letzte Frage an den ehemaligen BAG-Leiter «Übertragbare Krankheiten» stellte HSG-Rektor Bernhard Ehrenzeller. Sie drehte sich um die langfristigen Folgen der Corona-Pandemie. Langfristige Prognosen zu stellen, sei meistens schwierig, antwortete Daniel Koch. Er hoffe stark, dass die Auswirkungen der Coronakrise nicht dazu führten, dass die Gesellschaft immer nationalistischer werde. «Wir fahren gut mit unserem freiheitlichen System. Ich wünsche mir deshalb sehr, dass wir Sorge zu ihm tragen.»

 

 

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