Campus - 22.02.2019 - 00:00 

Abschied durch Näherung. Kristine Bilkau las aus «Eine Liebe, in Gedanken»

Die Schriftstellerin Kristine Bilkau las in der Reihe «Das andere Buch» in der Universitätsbibliothek aus ihrem zweiten Buch «Eine Liebe, in Gedanken.» Zart und behutsam beleuchtet die Geschichte existenzielle Fragen über Beziehungen. Dana Sindermann berichtet.
Quelle: HSG Newsroom

22. Februar 2019. Durch die Kuppel der Universitätsbibliothek schimmert an diesem Abend ein sternenklarer Himmel. Der Blick der Schriftstellerin Kristine Bilkau geht dagegen weniger weit hinaus, sondern zurück. In eine Zeit, als Perwoll noch ein Versprechen war, Darjeeling Tee noch exotisch klang und Freiheit für Frauen hauptsächlich bedeutete, entscheiden zu können, was es zum Abendessen gibt. In diese 1960er Jahre begibt sich Hanna, die Protagonistin des Romans, kurz nach dem Tod ihrer Mutter. Poröses Herz, lautete die Diagnose, sowie Herzrhythmusstörungen – und so trat die Mutter aus dem Leben.

Nun will die Tochter erfahren, wer waren ihre Eltern, bevor sie Eltern wurden? Was war das für eine Liebe zwischen ihnen? Und wer war dieser Mann, mit dem ihre Mutter eine kurze, aber leidenschaftliche Liebesbeziehung hatte? Denn diesen Mann, ihren Vater, hat Hanna nie kennen gelernt.

Autobiografische Einflüsse

«Mein Buch hat schon einen autobiografischen Touch,» sagt die Autorin, Jahrgang 1974. Und eigentlich wollte sie nach ihrem umfeierten Debut «Die Glücklichen» einen Roman schreiben, in dem es um die Frage geht, wie das Ökonomische Lebensbedingungen beeinflusst. «Aber dann ist meine Mutter gestorben», und so hat sich Kristine Bilkau eines anderen Stoffes angenommen. Eine Grundfrage hat sie in diese neue Geschichte aber mitgenommen. Es ist die Frage nach den gesellschaftlichen Bedingungen für den Verlauf des eigenen Lebens. Nach den Möglichkeiten, selbstbestimmt leben und unbeschwert lieben zu können.

Da ist das Leben der Tochter Hanna, Architektin im Kunstbereich, so erfolgreich wie souverän. Hanna gehört einer Generation an, in der Frauen selbstverständlich Teil des öffentlichen Lebens sind. In der Frauen die gleichen Freiheiten haben wie ihre männlichen Zeitgenossen. Und dann ist da das Leben der Mutter, auf das die Tochter oft einen strengen Blick wirft: Die Mutter wollte unabhängig leben und war doch in gesellschaftlichen Konventionen gefangen. Nie gelang es ihr, sich von den Vorgaben des Elternhauses zu lösen. So blieb die Mutter zeitlebens Romantikerin, die nur in ihren Träumereien frei sein konnte.

Abschied durch Näherung

In der Geschichte der Tochter über die Geschichte der Mutter schwingt ein tiefes Mitgefühl mit für die Frau, die ihr Leben nur halb gelebt hat. Und die eine enttäuschte Liebe nie überwand. Diese Lücke will die Tochter nicht auf sich beruhen lassen. Deshalb versucht sie erstmals nach dem Tod der Mutter ihren unbekannten Vater zu treffen. Sie will ihn dazu bringen, sich an die Zeit mit ihrer Mutter zu erinnern. Die Liebe soll in Gedanken wieder lebendig werden. So will die Tochter der Mutter die Zeit mit dem Mann ihres Lebens zurückbringen. Erst durch diese Näherung an das Leben und die grosse Liebe der Mutter mag der Tochter der Abschied von der Mutter gelingen können.

Während der Lesung und während des anschliessenden Publikumsgesprächs scheinen unter der Kuppel unter dem Sternenhimmel existenzielle Fragen auf. Fragen nach der Verbindung zu den Liebsten, nach der Verwobenheit jedes Einzelnen in das grosse Ganze. Mittendrin winkt immer wieder Abschied, leuchten Chancen der Überwindung auf. Wie frei sind wir? Man darf gespannt sein auf Kristine Bilkaus nächstes Buch darüber, wie das Ökonomische unser Leben beeinflusst.

Die Autorin, Dana Sindermann, ist wissenschaftliche Assistentin am Institut für Wirtschaftsethik.

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