Forschung - 17.11.2015 - 00:00 

Rückenwind für die Energiestrategie

Die Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien steht bei der Bevölkerung nach wie vor hoch im Kurs – zu diesem Ergebnis kommt eine Befragung von 1095 Ostschweizerinnen und Ostschweizern durch die HSG.
Quelle: HSG Newsroom

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18 November 2015. Eine deutliche Mehrheit der Befragten äussert sich positiv zur Entwicklung von Windenergie‑Projekten, die Schwerpunkt der Untersuchung waren. Während tiefe ökologische Auswirkungen und eine Beteiligung lokaler Investoren sich positiv auf die Akzeptanz auswirken, deutet die Studie betreffend Landschaftsschutz auf eine gewisse Kompromissbereitschaft hin. Im Churer Rheintal, wo 2013 eine Windkraftanlage errichtet wurde, sehen die Befragten ihre Erwartungen bezüglich landschaftlicher Auswirkungen und Lärm positiv übertroffen.

Die Studie basiert auf einer geographisch repräsentativen Befragung in 16 Bezirken der Ostschweiz. Neben der Erhebung eines Stimmungsbildes zu aktuellen Energiefragen waren die Einstellungen der Bevölkerung zur Windenergie und die Akzeptanz möglicher Windenergieprojekte in der Region die Schwerpunkte der Untersuchung. Die wissenschaftliche Federführung lag beim Institut für Wirtschaft und Ökologie (IWO‑HSG) der Universität St.Gallen. Die Studie wurde im Auftrag der Kantone Graubünden, St.Gallen und Thurgau sowie des Bundesamts für Energie (BFE) durchgeführt.

Verringerung der Auslandsabhängigkeit

Auf die Frage, wie die künftige Stromversorgung der Schweiz sichergestellt werden soll, äussern die Befragten eine eindeutige Präferenz: Über 90 Prozent wünschen eine Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien. Hingegen stossen der Neubau von Atom‑ (11 Prozent) oder Gaskraftwerken (6 Prozent) auf ebenso wenig Zustimmung wie der Stromimport aus dem Ausland (11 Prozent). 72 Prozent stellen fest, dass die Schweizer Stromversorgung heute nicht unabhängig vom Ausland ist. Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man die Bevölkerung nach ihren Vorstellungen für die kantonale Energiezukunft fragt. Ein grosser Anteil der Teilnehmer würde der Förderung von Sonnenenergie (85 Prozent), Wasserkraft (80 Prozent) und Windenergie (68 Prozent) auf Kantonsgebiet zustimmen.

Positive Einstellungen zur Windenergie

Eine deutliche Mehrheit der Befragten (76 Prozent) würde die Entwicklung von Windenergie sowohl auf nationaler Ebene als auch in ihrer näheren Umgebung akzeptieren. Diesbezüglich konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen den Ostschweizer Kantonen beobachtet werden. Oft gehörte Bedenken zur Windenergie scheinen in der Gesamtbevölkerung nur von einer Minderheit geteilt zu werden: Einen Zusammenhang zwischen Windenergieanlagen und gesundheitlichen Problemen sehen nur 9 Prozent der Befragten. Auch mögliche Interessenskonflikte mit dem Tourismus werden durch die Studie relativiert: Nur 22 Prozent der Teilnehmer würden sich durch eine Windenergieanlage in einem Skigebiet gestört fühlen. Während 69 Prozent der Befragten Windenergie für eine wichtige Quelle erneuerbarer Energie in der Schweiz halten, teilen nur 33 Prozent die Auffassung, dass Windenergie eine unzuverlässige Energiequelle sei, da der Wind nicht immer weht.

Umweltfreundlichkeit und lokale Beteiligung fördern Akzeptanz

Anhand eines Wahlexperiments wurde analysiert, welche Eigenschaften eines Windenergieprojekts einen wichtigen Einfluss auf die gesellschaftliche Akzeptanz haben. Das Ergebnis zeigt, dass die Minimierung ökologischer Auswirkungen, eine sorgfältige Standortwahl und die Einbeziehung lokaler Investoren sich positiv auf die Akzeptanz auswirken. Standorte in Industrie‑ und Gewerbegebieten oder auf landwirtschaftlichen Nutzflächen werden bevorzugt gegenüber Windenergieanlagen in bedeutenden Landschaften (BLN‑Gebiet) oder in der Nähe von Wohngebiet.

Eine Beteiligung der Gemeinde bzw. ihrer Einwohner am wirtschaftlichen Nutzen der Stromproduktion aus Windenergie wird, wie auch die Möglichkeit an der Planung von Windenergieprojekten mitzuwirken, ebenfalls positiv beurteilt. Der Einfluss dieser Faktoren deutet darauf hin, dass bestehende Partizipationsmöglichkeiten eine wichtige Funktion ausüben. Eine Notwendigkeit für die Kantone, bei der Abwägung zwischen Beteiligungs- und Einsprache-Möglichkeiten einerseits und dem Bedürfnis von Projektentwicklern nach speditiveren Verfahren andererseits eine Verschiebung zugunsten des ersteren herbeizuführen, lässt sich aus den Ergebnissen nicht ableiten.

Kompromissbereitschaft beim Landschaftsschutz

Auch wenn der Standort eines Windparks einen wichtigen Einfluss auf die Akzeptanz hat, so deuten die Umfrageresultate auf eine gewisse Kompromissbereitschaft der Bevölkerung hin. Eine Mehrheit der Befragten (69 Prozent) wäre bereit, Veränderungen des Landschaftsbildes in Kauf zu nehmen, um die Stromversorgung sicherzustellen respektive die Risiken der Atomenergie zu vermeiden. Bei der Standortwahl von Windenergieprojekten gilt es eine Balance zwischen ökologischen und wirtschaftlichen Kriterien zu finden. In diesem Sinne stossen Standorte in landschaftlich wertvollen Gebieten auf vergleichsweise tiefere Zustimmung, immerhin 49 Prozent der Befragten würden jedoch unter gewissen Bedingungen sogar einer Errichtung von Windenergieanlagen im BLN‑Gebiet zustimmen – beispielsweise wenn eine dem Windpark gleichwertige Fläche an einem anderen Ort ökologisch aufgewertet würde.

Haldenstein: Erwartungen der Anwohner positiv übertroffen

Zustimmend zum weiteren Ausbau der Windenergie äussern sich auch die Befragten in der Region Chur, wo 2013 die bislang einzige Grosswindanlage der Ostschweiz in Haldenstein realisiert wurde. Nach ihren Erfahrungen mit dieser Anlage im Vergleich zu den Erwartungen vor dem Bau befragt, zeigen sich viele Anwohner positiv überrascht. Die landschaftlichen Veränderungen werden weniger gravierend beurteilt als erwartet, und noch markanter ist die Verschiebung zum Positiven betreffend Geräuschemissionen. Hier haben sich Befürchtungen über den Lärm der Anlage im Betrieb als weitgehend unbegründet erwiesen – weniger als 10 Prozent der befragten Anwohner nehmen die Auswirkungen der Windenergieanlage in dieser Hinsicht als (eher) negativ wahr.

Grundlagen für die Planung

«Die Ergebnisse der Befragung liefern Bund und Kantonen empirisch fundierte Grundlagen für die Planung im Bereich Windenergie», sagt Projektleiter Rolf Wüstenhagen, Direktor des Instituts für Wirtschaft und Ökologie (IWO‑HSG) und Professor für Management erneuerbarer Energien. «Insgesamt sind die befragten Ostschweizerinnen und Ostschweizer gegenüber Windenergie positiv eingestellt und sehen darin einen Beitrag zur einheimischen Stromversorgung. Wenn die Behörden geeignete Rahmenbedingungen für eine Realisierung sorgfältig geplanter Projekte schaffen, können sie dabei auch auf die Unterstützung einer breiten Mehrheit der Bevölkerung zählen.»

Foto: sajola / photocase.de

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