Meinungen - 18.01.2013 - 00:00 

Wehrpflicht oder Berufsheer?

Am 20. Januar stimmt Österreich über die Abschaffung der Wehrpflicht und die Einführung eines Berufsheeres ab. Peter Platzgummer über wahltaktische Kunstgriffe vor dem Referendum in Österreich und Parallelen in der Schweiz.
Quelle: HSG Newsroom

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18. Januar 2013. Stellen Sie sich vor, in Zürich sind Stadtpräsidiumswahlen. Die Wahl wird recht langweilig. Die SP, seit Jahrzehnten an der Macht, wird gewinnen. Corinne Mauch, die Stadtpräsidentin, strebt – genervt vom Proporz – eine Alleinregierung an. Um im letzten Moment noch Stimmen bisheriger FDP-Wähler zu bekommen, sagt sie, dass die Studiengebühren der ETH Zürich radikal erhöht werden sollten.

Zwar wird sie gleich darauf hingewiesen, dass es sich bei der ETH nicht um eine Zürcher, sondern um eine Bundeseinrichtung handelt. Simonetta Sommaruga, Vorsteherin des Justizdepartements, die noch Wochen davor in Zeitungen von «Studieren für alle statt für Wenige» gesprochen hat, meint jedoch, dass sei eine hervorragende Idee, die sie im Bundesrat weiter verfolgen würde. Überrascht vom ideologischen Schwenk der Gegenseite plädiert Johann Schneider-Ammann, FDP-Bundesrat und Bildungsvorsteher, für die Abschaffung der Studiengebühren. Im Bundesrat kommt es zum Streit. Man kann sich nicht einigen. Also wird das Volk befragt, ob es – wie die SP – Studiengebühren radikal erhöhen oder – wie die FDP – Studiengebühren abschaffen will.

Referendum als wahltaktischer Kunstgriff 
Alles Klamauk und Unsinn, sagen Sie? Nun ja. In Österreich ist ein ähnliches Szenario der Grund, warum am Sonntag zum ersten Mal überhaupt eine bundesweite Volksbefragung durchgeführt wird. Nur handelte es sich um den Wiener SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl und um die von diesem aus wahltaktischen Gründen in Frage gestellte Wehrpflicht, die von der SPÖ bisher immer vehement verteidigt wurde. Parteikollege und Verteidigungsminister Norbert Darabos, der noch 2010 bekräftigte, dass für ihn die Wehrpflicht «in Stein gemeisselt» sei, ist plötzlich für deren Abschaffung und für die Einführung einer Berufsarmee.

ÖVP-Chef und Aussenminister Michael Spindelegger hingegen, dessen Partei noch vor einigen Jahren ein Berufsheer und den (in den meisten Ländern damit verbundenen) NATO-Beitritt im Parteiprogramm stehen hatte, ist seltsamer Weise ebenso plötzlich für die Beibehaltung der Wehrpflicht.

Zwar durfte das österreichische Volk 1978 und 1994 bereits über grössere Verfassungsänderungen abstimmen (Nutzung der Kernenergie und EU-Beitritt). Eine bundesweite Volksbefragung wird aber zum ersten Mal durchgeführt. Die organisatorischen Kosten von fünf Millionen Euro für den Bund alleine sind in Anbetracht der Tatsache, dass das Ergebnis einer Volksbefragung für die Regierung normalerweise nicht bindend ist, gewaltig. «Normalerweise» deshalb, weil die österreichische Bundesregierung im aktuellen Fall erklärt hat, dass sie das Ergebnis der Volksbefragung umsetzen würde. Dazu kommt, dass die Stimmberechtigten keine Abstimmungsunterlagen erhalten haben und es auch keine Botschaft der Regierung zu den Fragestellungen oder den Auswirkungen derselben gibt. Das Volk muss sich also ausschliesslich auf die Meinungen von Medien oder Parteien verlassen.

Schlechte Vorbereitung für die Wahl
Wenig hilfreich ist auch, dass bisherige Volksbefragungen auf Länderebene vor allem durch erhebliche Suggestivfragen (inklusive Grammatikfehler) geglänzt haben. Bei der jüngsten Wiener Volksbefragung ging es zum Beispiel unter anderem um folgende Frage: «Internationale Studien zeigen, dass die Ganztagsschule der entscheidende Erfolgsfaktor für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie darstellt, sowie das Bildungsniveau der Bevölkerung deutlich hebt. Sind Sie für ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen in Wien?»

Dazu kommen noch Probleme, die für Schweizer durchaus normal sind, im österreichischen Politikbetrieb aber meist tunlichst vermieden wurden. Mit der Befragung spitzt sich alles auf ein Ja oder Nein zu. Ein «Jein», oder «Ja, aber» funktioniert auf einmal nicht mehr. Wo man aber in der Schweiz versucht, Initiativtexte so zu gestalten, dass der Bundesrat immer noch einen gewissen Spielraum bei der Umsetzung hat, entscheidet man in Österreich scheinbar ultimativ und sofort. Und so wird am Sonntag darüber entschieden, die allgemeine Wehrpflicht und mit ihr den Zivildienst abzuschaffen. Natürlich ab sofort! Oder auch nicht!

Bild: Photocase / PNetzer

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