Meinungen - 21.01.2017 - 00:00 

WEF 2017: Demokratien müssen für soziale Inklusion kämpfen

Vom 17.-20. Januar 2017 fand das World Economic Forum in Davos statt. Welche Erkenntnisse lassen sich daraus ziehen? Ein Meinungsbeitrag von HSG-Rektor Thomas Bieger.
Quelle: HSG Newsroom

22. Januar 2017. Die vierte industrielle Revolution bringt grosse Veränderungen. Dies wurde mir am diesjährigen WEF in Debatten und persönlichen Gesprächen nochmals deutlich vor Augen geführt. Im Zeitalter der Industrie 4.0 wird nicht nur automatisiert produziert. Dank des Internets der Dinge kommunizieren immer mehr Geräte und Teile selbständig miteinander, dank künstlicher Intelligenz übernehmen Maschinen auch anspruchsvolle Tätigkeiten wie Marktforschung, Rechtsberatung oder Wirtschaftsprüfung.

Für soziale Inklusion kämpfen

Während die Eigentümer solcher Systeme und Plattformen sowie rare Experten es zu grossen Einkommen und Vermögen bringen, verschwinden im Strukturwandel Arbeitsplätze. Zum ersten Mal auch die der Mittelklasse, die in vielen Regionen der Welt das Gefühl hat, von der Politik zu wenig ernstgenommen zu werden. Nicht nur Einkommen und Vermögen werden so immer ungleicher verteilt, sondern auch die Lebensperspektiven der Menschen. Demokratische Gesellschaften müssen deshalb darum kämpfen, alle Bürger einzubeziehen und damit ihrer sozialen Inklusion gerecht zu werden.

Daten spielen bei allen Produkten eine immer grössere Rolle: vom Auto, das laufend Informationen über seine Nutzung an den Hersteller sendet, bis zu komplexen medizinischen Dienstleistungen, wo Röntgenbilder vermehrt von Expertensystemen ausgewertet werden können. Es entsteht ein Zielkonflikt zwischen der Nutzung der Daten zur Entwicklung besserer Produkte und Therapien und dem Schutz der Privatsphäre. Privates wird zum Luxus, wer seine Daten nicht geben will, bezahlt mehr. Und nicht nur das menschliche Verhalten hinterlässt digitale Spuren, Expertensysteme können sogar das Denken erahnen. Vielleicht muss deshalb in Zukunft nicht nur die Freiheit der Rede, sondern auch die Freiheit des Denkens geschützt werden.

Schweiz ist für Herausforderungen gut aufgestellt

Die Schweiz scheint mir für diese Herausforderungen zum Glück gut aufgestellt zu sein. Ein ausgezeichnetes Bildungssystem steht allen offen, sei es in der Berufsbildung oder an öffentlichen Hochschulen. Internationale innovative Unternehmen haben hier ihren Sitz und arbeiten mit der Wissenschaft zusammen. Die direkte Demokratie und die immer noch gelebte Diskussionskultur erlauben es, Fragen zum Umgang mit der Digitalisierung breit abgestützt zu lösen.

Die Universität St.Gallen hat sich zum Ziel gesetzt, nicht nur ihre Studierenden auf die neue Arbeitswelt vorzubereiten und dazu neue Lernmethoden und -umgebungen zu entwickeln, sondern auch künftig intensiver Forschung zu den gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung zu betreiben. Sie hofft, damit auch einen Beitrag zu leisten, dass die Digitalisierung für alle mehr zu einer Chance statt zu einem Risiko wird.

Thomas Bieger ist Professor für Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung der Tourismuswirtschaft und Rektor der Universität St.Gallen.

Bild: gmcphotopress - Fotolia.com

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