Meinungen - 04.06.2012 - 00:00 

Was sind deine Freunde wert?

Nach dem Sinkflug des Facebook-Aktienkurses ist von Täuschung und Manipulation die Rede. Sind die Vorwürfe berechtigt? Christian P. Hoffmann über die Spekulation um das «Sozialkapital» des Netzwerks.
Quelle: HSG Newsroom

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4. Juni 2012. Der Börsengang des Internet-Riesen Facebook galt schon lange vor seiner Durchführung als das Ereignis des Finanzjahres, wenn nicht gar Jahrzehnts. Börseninsider, und solche die es gerne wären, diskutierten die Details der Aktienausgabe so aufgeregt, wie Teenager das Liebesleben ihrer Musikidole: welche Investmentbanken würden die Transaktion begleiten, wie viele Aktien würden angeboten werden, würde der Unternehmensgründer Mark Zuckerberg persönlich auf Werbetour gehen?

Der Facebook-Börsengang war wie kaum ein zweiter geprägt von Phantasie und Spekulation. Vorwerfen kann man dies den Kapitalmärkten kaum. Sie haben die undankbare Aufgabe, den richtigen Preis eines Unternehmens zu bestimmen. Dieser Preis ergibt sich jedoch nicht aus seinen physischen Anlagen, welche einen nachvollziehbaren Marktwert aufweisen. Nein, es sind die Ideen, die Menschen, die Entwicklungschancen eines Unternehmens, die seinen Wert ausmachen. Der Kapitalmarkt hat die Zukunft eines Geschäfts zu bewerten – und diese kann bekanntlich niemand vorhersehen.

Sozialkapital als Wertanlage
Was also ist ein Unternehmen wie Facebook wert? Das hängt ganz davon ab, wie viel Gewinn es künftig erzielen wird. Und dieser Gewinn wiederum hängt davon ab, womit genau das Unternehmen seine Einnahmen erzielt. Genau diese Frage ist im Fall Facebook aber schwierig zu beantworten – vielleicht kennt nicht einmal Mark Zuckerberg die Antwort. Facebook ist der wohl wichtigste Repräsentant einer neuen Mediengattung, der Sozialen Medien. Diese Internetangebote dienen dem Austausch, der Vernetzung und Kollaboration ihrer Nutzer. Und kein Soziales Medium hat mehr Nutzer als Facebook. 900 Millionen Menschen kommunizieren hier – bald wird wohl die Milliarden-Grenze geknackt.

Soziale Medien demokratisieren die öffentliche Kommunikation. Jeder Nutzer erhält hier eine Plattform, um sich selbst, die eigenen Meinungen, Tätigkeiten und Leistungen darzustellen. Das Kapital Sozialer Medien besteht darum in der Kommunikation ihrer Nutzer – in den Interaktionsnetzwerken, die diese aufspannen und pflegen. Genau genommen handelt es sich um Sozialkapital: es sind die Beziehungen und der Austausch der Menschen untereinander, die Wert generieren.

Spekulation um neue Geschäftsfelder
Die Vision der Facebook-Macher ist dabei besonders ehrgeizig: die Nutzer sollen auf der Plattform ihr Leben offenlegen, ihre Kontakte, Vorlieben, Bewegungen, Passionen – und natürlich immer wieder ihre Interaktionen. Wer macht was mit wem wann und wo? Facebook kreiert so eine virtuelle Parallele zu unserer sozialen Welt. Was immer wir im Alltag tun, wird mit einer äquivalenten Information im Netz versehen.

Facebook als kommunikatives Rückgrat all unserer Aktivitäten. Wäre ein solches Angebot wertvoll? Zweifellos. Könnte es mehr als 100 Mrd. Dollar wert sein? Vermutlich. Wie aber wird dieser Wert in Heller und Pfennig umgesetzt werden, und wer wird ihn erhalten? Diese Fragen scheinen noch völlig offen. Die Chance, massgeschneiderte Werbung in unsere virtuelle Parallelwelt einzuspielen, mag wertvoll sein – sie kratzt aber nur an der Oberfläche der Möglichkeiten für neue Geschäftsfelder.

Am Ende bleiben viele Unsicherheiten: Wie viel Geld wird Facebook in den nächsten Jahren verdienen, und womit? Wird es Mark Zuckerberg gelingen, seine ehrgeizige Vision für das wichtigste Soziale Medium der Welt zu verwirklichen? Durch den Börsengang ist uns allen die Möglichkeit gegeben, in eine faszinierende Entwicklung zu investieren und an ihren Chancen teilzuhaben – aber auch an ihren erheblichen Risiken. Natürlich ist die Facebook-Aktie eine spekulative Anlage. Aber immerhin steht es uns nun offen, über die Zukunft eines faszinierenden neuen Mediums zu spekulieren. Was mehr kann man von uns, und auch von den Kapitalmärkten erwarten?

Bild: Photocase / Bastographie

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