Campus - 27.11.2016 - 00:00 

Turmspringen auf Papier: Judith Hermann liest Kurzgeschichten

Im Rahmen der Reihe «Das andere Buch an der Uni» war eine Berühmtheit der zeitgenössischen deutschen Literatur zu Gast in der Unibibliothek: die Schriftstellerin Judith Hermann. Sie las aus ihrem neuen Buch «Lettipark» und plauderte nebenbei mit dem Publikum. Dana Sindermann berichtet über die interaktive Lesung.
Quelle: HSG Newsroom

28. November 2016. Dieser Bericht beginnt mit einer persönlichen Anekdote. Es war kurz vor der Jahrtausendwende und ich war auf dem Gymnasium. Lesen fand ich bis dahin mässig spannend. Aber zum Glück hatte ich eine tolle Deutschlehrerin. Wir lasen nicht nur alte Schinken, sondern auch neuere Sachen. Die Lehrerin kam an diesem Tag mit einem Büchlein in die Klasse. Judith Hermann, Sommerhaus, später stand darauf. Ein Band aus Kurzgeschichten. Wir lasen die erste Geschichte im Unterricht. «Die Sprache, achten Sie auf die Sprache,» sagte die Lehrerin. Und ich dachte nur, was meint sie denn?! Was ich dann erlebte, war eine Offenbarung.

Schönheit und Eleganz der Sprache

Als «Verknappungskünstlerin» führt Andreas Härter, Professor für Deutsche Sprache und Literatur an der HSG, die Autorin an diesem Abend ein. Ich finde, das trifft es. Mit minimal wenigen Wörtern erzeugt Judith Hermann dichte, schwirrende Bilder. Oft geht es in ihren Geschichten um Liebe oder Freundschaft. Um Beziehungen von, wie Andreas Härter sie umreisst, «latent unfesten Figuren ohne Anwesenheitsgarantie oder Bleiberecht». Diese Geschichten, ihr Debüt, haben Judith Hermann auf einen Schlag berühmt gemacht.

Nach drei weiteren, teils sehr erfolgreichen Erzählbänden sowie einem Roman erschien nun ihr neuer Erzählband «Lettipark». Hieraus las Judith Hermann an diesem Abend drei Geschichten in interaktivem Format. Die Schriftstellerin lud das Publikum zwischen den Geschichten zum Gespräch ein. Sie beantwortete Fragen zum Schreiben und zu ihren Erlebnissen als Schriftstellerin. Zum Beispiel, was für eine Beziehung sie zu ihren Figuren hat oder wie eine Lesereise ihr Verhältnis zu den Texten verändert. Meistens ging es aber um den Entstehungsprozess ihrer Geschichten.

Turmspringen auf Papier

Da erzählte Judith Hermann zum Beispiel, dass sie sehr viel schläft, wenn sie darüber nachdenkt, wie eine Geschichte aussehen soll. Dass sie sehr zögerlich und ängstlich ist, bis sie beginnt zu schreiben. Dass das Schreiben selbst ein Prozess hoher Konzentration ist. Im Ganzen ungefähr so: Mut zusammen nehmen, konzentrieren und dann in kunstvollen Windungen, dichten, dynamischen Bewegungen den Raum durchziehen. Im Grunde wie Turmspringen auf Papier. Nur dass die Spuren der Schriftstellerin nicht so flüchtig sind. Zum Glück.

Dana Sindermann ist wissenschaftliche Assistentin am Institut für Wirtschaftsethik.

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