Forschung - 26.05.2020 - 00:00 

Tourismus in unsicheren Zeiten

Der Tourismus bedingt Mobilität und Begegnung von Menschen. Beides ist in Zeiten von Corona unerwünscht. Deshalb war die Tourismusbranche auch als erste von Einschränkungen betroffen und wird als eine der letzten wieder geöffnet. Ein Bericht des Instituts für Systemisches Management und Public Governance (IMP-HSG) zeigt, auf welche Änderungen sich der Tourismus in den nächsten zwölf Monaten in Bezug auf die Öffnung von Märkten und auf das Verhalten der Gäste einrichten sollte.
Quelle: HSG Newsroom

 

26. Mai 2020. Die Corona-Krise fordert eine neue touristische Realität, die sich durch hohe Hygienestandards, Gesundheitspässe der Reisenden, Infektions-Tests, Quarantäne bei positiven Tests, Haftungsverzichtserklärungen gegenüber Reiseanbietern und neuen Etiketten bezüglich Social Distancing zeigen könnte. Wer unter diesen Bedingungen reisen möchte, wird bereit sein müssen, höhere Preise für eine begrenzte Anzahl von Flugverbindungen und Sitzplätzen zu leisten. Die pandemiebedingten Massnahmen, welche von Staates wegen verordnet wurden, haben nicht nur Angebotsbeschränkungen respektive Verbote zur Folge. Sie dämpfen die Nachfrage im Tourismus und gefährden die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit der touristischen Anbieter, insbesondere derjenigen, die auf internationale Reiseströme angewiesen sind. Im Zuge der Lockerung der Massnahmen zeichnen sich langsam mögliche Entwicklungen im Tourismus ab, welche Christian Laesser und Thomas Bieger im Gespräch mit Branchenexperten skizzieren.

Bedingungen des Grenzübertritts entscheidend

Die Menschen wollen zwar reisen, sind aber aufgrund gesundheitlicher Risiken und wirtschaftlicher Bedenken bezüglich Arbeitsplatzsicherheit und Einkommensaussichten tendenziell zurückhaltend. Eine schrittweise Ausdehnung der Bewegungsfreiheit innerhalb verschiedener Länder lässt vorerst nur den Binnentourismus zu. Eine bilateral oder multilateral vereinbarte Grenzöffnung in Europa könnte im Rahmen der Wiederherstellung des Schengener Abkommens erfolgen, insbesondere zwischen Ländern mit ähnlichen Pandemie-Situationen. Denkbar wären auch multinational vereinbarte pandemiefreie Zonen, in welchen frei gereist werden kann, was zurzeit in Australien und Neuseeland diskutiert wird. Wenn sich voraussichtlich in den nächsten drei bis vier Monaten die Landesgrenzen langsam wieder öffnen werden, dann werden die Bedingungen des Grenzübertritts entscheidend sein für die Lust am Reisen: Quarantänebestimmungen im Einreiseland oder administrative Hürden könnten tourismusbedingte Grenzübertritte unattraktiv machen. Nach Einschätzungen der Branchenexperten sind offene Grenzen, Flugverbindungen und der Einsatz von Reiseveranstaltern als Intermediäre die Voraussetzung für die Erholung des interkontinentalen Tourismus.

Weniger, aber bewusster reisen im eigenen Land

Vorerst muss sich die Schweiz auf den Binnentourismus einstellen, der mit zurückhaltenden Gästen sowie kurzfristigen Reiseentscheidungen und Aufenthaltsdauern schwierig zu steuern ist. Flexible Preissysteme könnten hierbei helfen, Spitzenzeiten und -auslastungen auszugleichen, und knappe

 

Kapazitäten könnten priorisiert zugänglich gemacht werden. Darüber hinaus könnten beispielsweise lokal und regional gültige Gutscheine mit höherem Nennwert als der zu bezahlende Preis die Nachfrage ankurbeln. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Rahmenbedingungen beschreiben die Autoren des Berichts einen günstigeren Reisekontext mit baldiger Erholung für kleine Reisegruppen mit Mitgliedern der eigenen Familie oder engen Freunden und Verwandten, die nicht zu den Risikogruppen gehören. Kurzfristig geplante Kurzreisen mit individuellen Verkehrsmitteln wie Auto oder Zweirad in eher abgelegene menschenarme Gebiete wären eher angesagt als längere Reisen in grösseren Gruppen mit kollektiven Verkehrsmitteln. Bezüglich Unterkunft würden Kurzzeitvermietungen von Ferienwohnungen oder Campingplätze mit grossen Privaträumen und autonomer Bewirtschaftung sowie Hotels mit Suiten inklusive kulinarischem Zimmerservice eher nachgefragt als Hotels mit kleinen Zimmern und kollektiv genutzten Flächen.
 

Auch wenn dieser Trend zu weniger aber bewussteren Reisen in kleineren Gruppen, eher naturbezogen, mit Fokus auf Sicherheits- und Hygieneanforderungen für die nächsten zwei Jahre anhalten wird, so erwarten die Autoren längerfristig doch kaum signifikanten Veränderungen im bisherigen Reiseverhalten, solange die existenziellen Grundlagen nicht gefährdet sind. Wenn Reisen auch international wieder frei möglich sein wird, dann werden aber die strukturbedingten Nachteile des Schweizer Tourismus mit der starken Währung und hohen Produktionskosten wieder spürbar werden.
 

Bild: photocase / elmue

 

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