Forschung - 11.12.2020 - 00:00 

Studie zum Einsatz von Algorithmen bei Schweizer Polizei- und Strafbehörden

In der Studie «Smart Criminal Justice» haben das Kompetenzzentrum für Strafrecht und Kriminologie (SK-HSG) und das Institut für Systemisches Management und Public Governance (IMP-HSG) den Einsatz von Algorithmen bei den Schweizer Polizei- und Strafbehörden untersucht.
Quelle: HSG Newsroom

11. Dezember 2020. Die Studienautorinnen Dr. Monika Simmler und Simone Brunner sowie der Studienautor Prof. Dr. Kuno Schedler untersuchten zum ersten Mal systematisch, inwiefern algorithmenbasierte Tools im Rahmen des Predictive Policing, der Kriminalanalyse und des Justizvollzugs in der Schweiz Verbreitung finden.

Studie zu «Smart Criminal Justice»

Kern der Studie bildete die Schaffung eines Überblicks, welche algorithmischen Tools in welchen Kantonen eingesetzt werden. Weiter sollte der jeweilige Beschaffungshintergrund, die Implementierung und Anwendung der Tools, deren Entwicklungsweise und Wirkung, die rechtlichen Grundlagen des Technikeinsatzes und dessen öffentliche Kommunikation beleuchtet werden. Auf der Grundlage der persönlichen Befragung von 32 Personen aus 14 Kantonen sowie ergänzender Online-Befragungen deckt die Studie auf, dass in allen Kantonen bereits Algorithmen im Einsatz stehen, dass die meisten jedoch nicht besonders komplex, d.h. «smart» sind.

Paradigmenwechsel hin zu mehr Prävention

Die Beschaffung der Tools angetrieben hat insbesondere der Paradigmenwechsel hin zu einer immer präventiveren Orientierung der Polizeiarbeit («Bedrohungsmanagement») sowie dem vermehrten Sicherheitsdenken im Justizvollzug. Im jeweiligen Anwendungskontext dienen sie oftmals der Überprüfung bzw. Bestätigung des eigenen Bauchgefühls, verleihen dem Beurteilungsprozess eine klare Struktur oder erlauben die effiziente Verarbeitung grosser Datensätze. Eine öffentliche Kommunikation oder politische Debatte fand nur vereinzelt statt. Rechtlich ergeben sich bei der Polizei vermehrt Unklarheiten hinsichtlich der Bearbeitung von Personendaten – insbesondere im Zusammenhang mit dem Bedrohungsmanagement und im Kontext sog. Gefährder. Es zeigt sich, dass sämtliche Kantone als gefährlich erachtete Personen in einer Datenbank oder Gefährderliste registrieren und diese oft unter Zuhilfenahme von algorithmischen Tools identifizieren. Die Chancen von Algorithmen werden vor allem in den Rechenkapazitäten, der Effizienzsteigerung und der qualitativen Verbesserung der Arbeitsprozesse gesehen. Dagegen wurden die Risiken in der fehlenden Nachvollziehbarkeit oder Evaluation erblickt.

Sicherstellen von Rechtsstaatlichkeit

Die Studie identifizierte verschiedene Handlungsfelder, welche sich mit Blick auf den Algorithmeneinsatz abzeichnen. Es ist mehr Kompetenz und Know-how zu schaffen. Der Einsatz von Algorithmen erfordert ferner zwingend das Sicherstellen von Rechtsstaatlichkeit, zumal aktuell nicht überall ausreichende Rechtsgrundlagen vorhanden sind. Letztlich offenbarte sich auch Handlungsbedarf hinsichtlich des Nutzens von Potenzialen und der Identifikation von Gefahren im Zusammenhang mit dem Einsatz algorithmischer Tools. Die Implementierung von Algorithmen kann als institutionelle Chance wahrgenommen, muss aber auch kritisch reflektiert werden.

Die Autorinnen und Autoren kommen entsprechend zum Schluss, dass eine vertiefte Diskussion über die Chancen und Risiken der Anwendung von Algorithmen in der Polizeiarbeit und bei den Strafbehörden geführt werden muss. Die Funktionsweise und die Wirkung von datenbasierten Tools sollte von unabhängigen Forschenden mitschreitend evaluiert werden. Die Forscherinnen und Forscher der Universität St.Gallen werden sich der Thematik «Smart Criminal Justice» deshalb auch weiterhin annehmen. Im Januar 2020 erscheint ein Buch unter dem gleichnamigen Titel «Smart Criminal Justice» openaccess beim Helbing Lichtenhahn Verlag.

Bild: Adobe Stock / Pablo Lagarto

north