Meinungen - 16.08.2022 - 00:00 

Schweizer Schulen: Bildungserfolg dank gut durchmischter Schulklassen

Städte wie Bern und Uster wollen Schulklassen künftig stärker durchmischen. Kinder aus bildungsfernen Haushalten oder mit Migrationshintergrund werden gleichmässiger auf Schulhäuser und -klassen verteilt, um den Lernerfolg der gesamten Klasse zu verbessern. Forschende der Universität St.Gallen (HSG) und Lausanne (UNIL) haben die Effekte einer besseren Durchmischung untersucht. Sie empfehlen, auch geflüchtete Kinder schnellstmöglich in Regelklassen zu integrieren.
Quelle: HSG Newsroom

16. August 2022. Mit dem aktuellen Zustrom Schutz Suchender aus der Ukraine bekommt die Politik der besseren Durchmischung von Klassen nochmals eine neue Dimension. Sollen Kinder, welche vor dem Krieg geflüchtet sind, in speziellen Integrationsklassen unterrichtet werden? Oder doch besser von Beginn an in eine Regelklasse integriert werden? Die aktuelle Handhabe unterscheidet sich dabei je nach Kanton, Gemeinde, oder Art der Unterkunft der Geflüchteten.

Bildungs- und Berufschancen hängen auch von der Zusammensetzung der Schulklasse ab
Neben den Auswirkungen auf die Lehrpersonen und die bestehenden Klassenverbände ist es wichtig, auch die Auswirkungen auf die betroffenen Kinder selbst zu kennen. Einen ersten Hinweis auf die zu erwartenden Effekte gibt dabei eine Studie von Forschenden der Universitäten St.Gallen und Lausanne. Diese untersucht, inwiefern die Bildungschancen und Berufswahl von Kindern mit Migrationshintergrund von der Klassenzusammensetzung abhängt. Dabei unterscheiden die Forschenden zwischen dem Effekt von mehr Mitschülern mit Migrationshintergrund und spezifisch mehr Mitschülern derselben Migrantengruppe (z.B. portugiesisch-sprachige Mitschüler). Ziel ist es, herauszufinden, ob ethnische Cluster in Schulen oder Klassenzimmern dazu führen, dass sich die Bildungs- und Berufschancen dieser Schülerinnen und Schüler verschlechtern.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie sich ethnische Cluster auswirken können. Einerseits leidet die Geschwindigkeit, mit welcher Schüler die lokale Sprache erlernen. Sprachkenntnisse sind aber bedeutend, sowohl in der Schule als auch auf dem Arbeitsmarkt. Andererseits können ethnische Gruppen positiv als Netzwerk wirken, das Schülerinnen und Schülern bessere Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt eröffnet. Schlussendlich können auch kulturelle Unterschiede bestehen, zum Beispiel im Wert, welcher einer gymnasialen Ausbildung beigemessen wird. Diese kulturell geprägten Werte können sich in ethnischen Clustern noch verstärken.

In ihrer Studie vergleichen die Forschenden mehrere Jahrgänge innerhalb einer Schule, welche in der 8. Klasse mehr oder weniger Mitschüler mit Migrationshintergrund aufweisen. Dieser lokale Vergleich innerhalb einer einzigen Schule erlaubt es, andere Effekte, wie zum Beispiel die Qualität des lokalen Arbeitsmarktes, konstant zu halten. Anhand von schweizweiten Daten über sieben Jahre (mehr als 120’000 Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund) finden die Forschenden, dass ein zusätzlicher Mitschüler mit nicht-lokaler Muttersprache pro Klasse die Wahrscheinlichkeit eines Wechsels ins Gymnasium um 0.2 Prozentpunkte senkt. Dies wird jedoch aufgefangen durch eine Erhöhung des Anteils von Schülern, welche eine Berufsbildung starten.

Geflüchtete Kinder schnellstmöglich in Regelklassen integrieren
Betrachtet man spezifischer, was passiert, wenn der Anteil Kinder aus der gleichen Migrantengruppe erhöht wird, so ändert sich dieses Bild leicht. Einerseits werden die negativen Effekte auf den Übertritt ins Gymnasium verdoppelt, bleiben aber mit 0.4 Prozentpunkten moderat. Andererseits kann die Berufsbildung den Effekt nicht mehr ganz kompensieren. Im schlechtesten Fall bleiben die Kinder dann gemäss der Untersuchung häufiger ohne Ausbildung. 

Auch wenn die Studie nicht eins zu eins mit der aktuellen Situation vergleichbar ist, so gibt sie doch Hinweise darauf, dass es vorzuziehen ist, die geflüchteten ukrainischen Kinder schnellstmöglich in eine Regelklasse zu integrieren, anstatt sie in speziellen Integrationsklassen zusammenzufassen. Insbesondere in der längeren Frist erlaubt dies eine gute Integration, erfolgreiche Berufsaussichten, und damit auch eine tiefere Belastung des schweizerischen Sozialstaates.

AutorInnen dieses Meinungsbeitrags: Dr. Caroline Chuard, Dr. Annatina Aerne, Dr. Simone Balestra, Prof. Dr. Beatrix Eugster und Prof. Dr. Roland Hodler (Universitäten St.Gallen und Lausanne)

Bild: Adobe Stock / Vasyl

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