Meinungen - 14.02.2012 - 00:00 

Putins Traum, Syriens Albtraum?

Seit die UN-Resolution zu Syrien gescheitert ist, steht Russland wegen seines «Njet» in der Kritik. Putin meint, Syrien brauche eine «gelenkte Demokratie» nach russischem Vorbild. Ein Kommentar von Ulrich Schmid.
Quelle: HSG Newsroom

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13. Februar 2012. Während jede Provinzposse aus dem amerikanischen Wahlkampf den Weg in die westeuropäischen Schlagzeilen findet, stossen die Ereignisse im Vorfeld der russischen Präsidentschaftswahlen vom 4. März kaum auf das Interesse. Natürlich liegt das hauptsächlich daran, dass der Sieger im Wettstreit um das höchste russische Regierungsamt bereits feststeht.

Renaissance des politischen Witzes
Allerdings haben die Proteste, die nach den umstrittenen Duma-Wahlen eingesetzt haben, die Ausgangslage radikal verändert. Mittlerweile kursieren in Moskau wieder politische Witze, ein Novum seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Der aktuellste Witz lautet: Am 4. März kommt ein Berater zu Putin und erklärt ihm, er habe eine gute und eine schlechte Nachricht: «Die gute: Sie sind neuer Präsident der Russischen Föderation. Die schlechte: Keiner hat Sie gewählt.» Dass seine Aktien rapide sinken, hat der fuchsschlaue Vladimir Putin sofort verstanden. Deshalb absolviert er – weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit – seit Anfang 2012 einen regelrechten Publizistikmarathon.

Im Wochenrhythmus erscheint in jeder grossen russischen Tageszeitung der Reihe nach jeweils ein langer Artikel aus der Feder des prominenten Präsidentschaftskandidaten. Der stolze Rückblick auf Erreichtes paart sich meist mit einem beherzten Aufruf, künftige Herausforderungen zu meistern. Wahlpropaganda eben. Es lohnt sich jedoch, diese Texte genauer anzusehen: Als seine grösste Leistung preist Putin die Entstehung einer neuen Mittelklasse, die über eine ausgezeichnete Bildung, Kaufkraft und Karrierechancen verfüge. Dass Russland in den zwanzig postkommunistischen Jahren eine solch beeindruckende Entwicklung durchmachen würde, habe man sich 1991 nicht vorstellen können. Deshalb sei es ein Zeichen von Stärke, wenn man heute die höchsten Massstäbe für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit an Russland anlege. Putin deutet hier also eine Not in eine Tugend um und träumt sogar von einer Internet-Demokratie.

Russland als «Vorbild für multipolare Staaten»
Auch die nationalen Gegensätze in Russland sind aus Putins Perspektive positiv zu werten. Während Europa in defätistischer Weise das Ende des Multikulturalismus verkünde, könne Russland auf die lange Tradition eines Vielvölkerreichs zurückblicken. Russland sei weder ein Nationalstaat noch ein «melting pot», sondern eine historisch gewachsene Einheit, in der die russische Kultur als Bindemittel wirke. Russland darf deshalb aus Putins Sicht als Vorbild für andere multinationale Staaten gelten. Hier liegt ein bislang wenig beachteter Grund für Russlands Nibelungentreue zu Syrien, wo Sunniten, Alawiten und Kurden eine explosive ethnische Mischung bilden. Putin betrachtet Russland als Musterbeispiel für eine föderale und demokratische Gesellschaftsordnung, in der nationale Gegensätze in einer gemeinsamen Geschichte aufgehoben sind. Gewiss ist Russlands «Nein» im Sicherheitsrat zuallererst ein Votum für ausländische Nichteinmischung, die sich aus einer Art autokratischer Solidarität der beiden Präsidenten speist.

Nibelungentreue zu Syrien

Syrien spielt im Nahen Osten für Russland eine ähnliche Rolle wie Saudi Arabien für die USA: Es geht um militärische Stützpunkte, Waffenlieferungen, Wirtschaftsverträge und Energiepolitik. Moskaus Ausscheren aus der internationalen Koalition gegen Assad ist auch Ausdruck eines aussenpolitischen Grundsatzes, den Putin seit seinem Amtsantritt im Jahr 2000 mantrahaft wiederholt: Er fordert eine «multipolare Weltordnung», in der Russland auf Augenhöhe neben anderen Playern wie den USA, China oder Europa steht. Putin wirft dem Westen vor, sich mit seiner Syrienpolitik wie ein «Elefant im Porzellanladen» zu verhalten.

Aus Putins Sicht ist Syrien ein Staat, der nach russischem Vorbild durch eine «gelenkte Demokratie» und nationale Kohäsion vor Anarchie und Chaos bewahrt werden muss. Ebenso wie Putin sein Land vor der Gefahr der bunten Revolutionen in der Ukraine, Georgien und in Kirgistan abgeschirmt hatte, will er nun verhindern, dass sich der russische Winter in einen arabisch inspirierten Frühling verwandelt. Dazu muss es aber auch in Syrien Winter bleiben.

Bild: Sandsturm über Syriens Hauptstadt Damaskus. Photocase / Mickmorley

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