Meinungen - 17.04.2013 - 00:00 

Nukleare Diplomatie

Es geriet in Vergessenheit, um welch heikles Spiel es sich bei der nuklearen Diplomatie handelt. Die Krise auf der koreanischen Halbinsel erinnert an Gefahren des politischen «Atomschachs», schreibt James W. Davis.
Quelle: HSG Newsroom

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17. April 2013. Die Vereinigten Staaten versuchen, eine feine Balance zu finden zwischen der Abschreckung eines nebulösen Gegners und der Beruhigung eines nervösen Verbündeten. So spielt sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit ein Drama ab, das für nicht wenige ein Testfall dafür sein wird, wie und für was sich Atomwaffen im 21. Jahrhundert politisch noch gebrauchen lassen.

Als Kim Jong Un im Februar mit dem Säbelrasseln begann, fürchtete man in Washington, dass eine zu schwache Reaktion den jungen Herrscher zu einem gefährlichen nuklearen Drahtseilakt animieren und seine Partner im Süden weiter verunsichern würde. In einer lehrbuchmässigen Zurschaustellung von Bündnissolidarität veranstalteten amerikanische und südkoreanische Truppen deshalb eine massive gemeinsame militärische Übung mit dem Codenamen «Invincible Spirit»: Man feuerte High-Tech-Artillerie ab, warf Anti-U-Boot-Bomben und liess amerikanische B-52-Bomber durch südkoreanischen Luftraum jagen.

Angst provoziert Konflikte
Dies sollte Entschlossenheit demonstrieren, jede nordkoreanische Aggression zu bestrafen. Und Seoul versichern, dass Amerika Südkoreas Sicherheit garantiert. Im März eskalierten die Spannungen. Als Reaktion auf neue, unverblümte atomare Drohungen gegen Washington und Seoul schickten die USA zwei atomwaffenfähige B-2-Bomber auf eine Trainingsmission nach Südkorea.

Das Problem mit solchen Schachzügen ist, dass sie im «Nuklearschach» eben jenen Konflikt provozieren könnten, den sie eigentlichen verhindern sollen. Das Gefühl der Angst kann ein Katalysator für internationale Konflikte sein.

Die grösste Herausforderung für Washington und seine regionalen Verbündeten besteht darin, die Motive hinter Pjöngjangs Provokationen zu ergründen. Eine schwierige Aufgabe, die durch die Undurchsichtigkeit des nordkoreanischen Regimes nicht leichter wird.

Obwohl der Alptraum vom monolithischen Kommunismus längst zur Geschichte gehört, hat Washington daher ein starkes Interesse, in Asien das Bild eines zuverlässigen Verbündeten zu vermitteln. Nicht nur, um einen nordkoreanische Angriff auf den Süden abzuschrecken, sondern auch, um dem steigenden politischen Einfluss Chinas Einhalt zu gebieten.

Blankoscheck verwandelt Sparer in Zocker
Das Problem besteht für Washington darin, auf Seoul beruhigend einzuwirken, ohne seine Verbündeten dazu zu ermutigen, riskantere Aussenpolitiken zu verfolgen als sonst. In den internationalen Beziehungen wie im privaten Bereich kann ein Blankoscheck einen risikoscheuen Sparer in einen skrupellosen Zocker verwandeln.

Angesichts der Deutlichkeit der amerikanischen Sicherheitsgarantie für Südkorea ist es nicht verwunderlich, wenn auch nicht gerade beruhigend, dass Präsidentin Park Geun-hye das Militär diesen Monat autorisierte, auf nordkoreanische Provokationen «stark» und «ohne jede politische Überlegung» zu reagieren.

Gewiss ein weiteres lehrbuchmässiges Beispiel für das Bemühen, die Glaubwürdigkeit von Abschreckungsdrohungen zu erhöhen. Aber eine, die riskiert, die Vereinigten Staaten auf der Grundlage von Urteilen eines südkoreanischen Feldkommandeurs in einen atomaren Krieg zu verwickeln. Das Beispiel verdeutlicht ein allgemeineres Problem: um einen Gegner erfolgreich abzuschrecken, muss man oft Drohungen formulieren, die man vielleicht gar nicht wahr machen möchte, sollte die Abschreckung doch versagen.

Abschreckungsmanöver als Drahtseilakt
Eine Lektion, die auch Präsident John F. Kennedy lernen musste. Nachdem er erfuhr, dass die Sowjetunion Atomwaffen auf Kuba stationiert hatte und an seine früheren Erklärungen erinnert wurde, eine solche Eventualität auf jeden Fall zu verhindern, witzelte er: «Ich hätte letzten Monat wohl lieber sagen sollen, es ist uns egal.»

Eher eine Kunst als eine Wissenschaft, kann die Abschreckung glücklicherweise doch noch gelingen. Das frühere Urteil eines amerikanischen Diplomaten gilt weiterhin: «Die Nordkoreaner reagieren nicht auf Druck. Aber ohne Druck reagieren sie nicht.» Darüber hinaus wird die Pattsituation auf der nordkoreanischen Halbinsel von den Mullahs in Teheran sicherlich sorgfältig beobachtet. So gilt, was für die Raketen auf Kuba galt:  Gleichgültigkeit ist keine Option.

Bild: Photocase / Designbüro Marx

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