Meinungen - 15.06.2015 - 00:00 

Mutige Verkehrspolitiker sind gefragt

Wie soll teure Infrastruktur künftig finanziert werden? In der Schweiz gibt es bereits Ansätze für ein Mobility Pricing, das alle Verkehrsträger einbezieht. Logistikmanagement-Professor Wolfgang Stölzle über die Maut-Diskussion und Alternativen zur Vignette.
Quelle: HSG Newsroom

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15. Juni 2015. Seit dem Wechsel der Bundesregierung in Deutschland ist der Verkehr zum Dauerbrenner in den Medien geworden: In schöner Regelmässigkeit wechseln sich Meldungen über gesperrte, weil einsturzgefährdete Autobahnbrücken und die Sinnhaftigkeit sowie Rechtmässigkeit der Pkw-Maut ab. Insbesondere die Maut hat im Autofahrer-Land Deutschland die Gemüter erhitzt.

Nur aufgrund der Tatsache, dass sie zum Start für den deutschen Autofahrer finanziell etwa neutral bleiben wird, kann die Politik wohl den Deckel auf dem brodelnden Topf halten. Stattdessen konzentriert sich die Kritik auf die «Ausländer-Komponente» der Maut. Nun hat der Bundespräsident das Gesetz zur sogenannten Infrastrukturabgabe unterzeichnet. Es wird also Zeit, beide populären Themen sachbezogen im Zusammenhang zu sehen.

Es fehlen bis zu sieben Milliarden

Nicht erst das Desaster um die Schiersteiner Brücke bei Wiesbaden hat gezeigt: Die deutsche Verkehrsinfrastruktur bedarf dringendst einer umfassenden Modernisierung. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass das Gros der Fernstrassen und Autobahnen in den 1960er-Jahren sowie in einer zweiten Welle Mitte der 1990er-Jahre nach der deutschen Einheit gebaut wurde. Das Geld floss jeweils vornehmlich in die Neubauten.

Mittel für deren Erhalt wurden unzureichend zurückgelegt. Nun muss nachgelegt werden, gemäss der Devise «Erhalt vor Ausbau», die auch vom deutschen Verkehrsminister vertreten wird. Nur: Woher sollen die sechs bis sieben Milliarden Euro jährlich kommen, die im Verkehrsetat dafür fehlen? Es klafft ein Milliardenloch in den Haushalten. Ohne dies klar auszusprechen, will die Verkehrspolitik wohl vorrangig die Verkehrsteilnehmer mit der Finanzierung dieser Investitionen betrauen. Akzeptiert man dieses sogenannte Paradigma der Nutzerfinanzierung, ist eine Maut für Lkw und Pkw eine prinzipiell zielführende Massnahme. Dies setzt aber voraus, dass die von den Verkehrsteilnehmern erhobenen Einnahmen auch uneingeschränkt dem Verkehrsetat zur Verfügung stehen.

Hier scheiden sich die Geister: Lippenbekenntnissen zufolge soll das so sein, de facto wird wohl der Finanzminister zunächst die Hand aufhalten und aus seinem Blickwinkel beleuchten, wie viel Geld in den Verkehrsetat zurückfliessen soll.

Pauschale Lösung ist ungeeignet

Schliesslich sind die Gestaltung der Maut und ihre Effekte anzusehen. Das Aufkommen wird – soweit ist jetzt schon klar – nur ein Tropfen auf den heissen Stein des Finanzierungsbedarfs für die Strasseninfrastruktur sein. Man wird also die massiven Beeinträchtigungen der Infrastruktur-Substanz damit nicht in den Griff bekommen. Will man eine Maut wirklich an der Nutzung und damit an der Belastung der Verkehrsinfrastruktur ausrichten, ist eine pauschale jahres- oder monatsbezogene Vignettenlösung ungeeignet.

Es bedarf vielmehr einer zeit-, leistungs- und auslastungsabhängigen Abgabe, die in unserer digitalen Zeit technisch zu bewerkstelligen wäre. Eine Vignette stellt demgegenüber die zweitschlechteste aller Lösungen dar. Schlimmer wäre nur, gar nichts zu unternehmen. Statt an einer Vignettenlösung zu feilen, die auch noch mit EU-Konformität zu kämpfen hat, sollte die deutsche Verkehrspolitik ein in sich schlüssiges Konzept des Mobility Pricings für alle Verkehrsträger erarbeiten. Hierzu liegen in der Schweiz schon recht konkrete Konzepte in den Schubladen der Politik. Wann werden wir wieder mutige Verkehrspolitiker bekommen, die diese Konzepte auch umsetzen?

Bild: Photocase / zettberlin

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