Meinungen - 16.10.2012 - 00:00 

Marktdesign «Form folgt Funktion»

Wirtschaftsnobelpreisträger Alvin E. Roth und Lloyd S. Shapley haben eine neue Denkrichtung in der Volkswirtschaftslehre angestossen. HSG-Ökonom Martin Kolmar über die Leistung der «Marktgestalter».
Quelle: HSG Newsroom

$alt

16. Oktober 2012. Erinnern Sie sich noch, wie Sie nach der Berufslehre oder dem Studium nach einem Arbeitsplatz gesucht haben? Wahrscheinlich haben Sie ein Schreiben verfasst und es an potentielle Arbeitgeber geschickt. Bei einer solch «spontanen» Organisation von Arbeitsmärkten hängt am Ende viel vom Zufall ab, und dieser garantiert nicht immer Effizienz. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich daher in der Ökonomik eine «ingenieurswissenschaftliche» Richtung entwickelt, welche Märkte auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse organisiert.

Frühe Beispiele hierfür waren Märkte für Absolventen medizinischer und juristischer Studiengänge in den USA und Kanada. Die beiden diesjährigen Nobelpreisträger Alvin E. Roth und Lloyd S. Shapley haben bei der Entwicklung dieser ingenieurswissenschaftlichen Denkrichtung in der Ökonomik zentrale Impulse gegeben.

Angebot und Nachfrage zusammenführen
Eine solche Gestaltung von Marktmechanismen, auch «Market Design» genannt, beschäftigt sich mit der Entwicklung von Regeln, die Angebot und Nachfrage zusammenführen. Traditionell haben sich solche «Allokationsmechanismen» ungeplant entwickelt und wurden eher durch Prozesse der kulturellen Evolution geformt. Es ist ein zentraler Erkenntnisfortschritt, zu verstehen, dass Märkte nicht nur beschrieben und im Sinne der klassischen Wirtschaftspolitik durch einen juristischen Rahmen grob strukturiert werden können, sondern dass auch Regeln gestaltbar sind und dass ihre detaillierte Gestaltung einen wichtigen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der Märkte hat.

Mit ausschlaggebend für diese Idee war aber nicht nur diese sehr allgemeine Erkenntnis, sondern auch die Möglichkeiten und Notwendigkeiten, die durch die Verbreitung des PC und des Internet entstanden. Internethandel wie bei Ebay ist nicht denkbar ohne ein zuvor erdachtes Verfahren, nach dem Angebot und Nachfrage zueinander geführt werden. Es ist keine Übertreibung, den Allokationsmechanismus von Ebay, das spezifische Marktdesign, als eines der Wertschöpfungselemente dieses Unternehmens zu bezeichnen.

Das Beispiel Ebay zeigt auch, mit welcher Geschwindigkeit bewusst gestaltete Markt- und Allokationsmechanismen unseren Alltag verändern: Arbeitsmärkte, Internet- und andere Auktionen, Märkte für Umweltzertifikate und Energie werden mittlerweile alle auf Basis ökonomischer Erkenntnisse bewusst gestaltet.

Märkte werden zu Produkten
Wichtige Marktmechanismen sind darüber hinaus patentrechtlich geschützt; Märkte werden zu Produkten. Wirtschaftsnobelpreisträger Lloyd S. Shapley hat schon sehr früh die mathematischen Grundlagen für das Marktdesign auf Arbeitsmärkten gelegt. Zusammen mit David Gale hat er bereits 1962 gezeigt, wie ein Verfahren aussehen muss, das Angebot und Nachfrage effizient zusammenführt. Das spezifische Verfahren ist stabil in dem Sinne, dass sich kein Anbieter-Nachfragerpaar finden kann, welches sich durch eine Abweichung vom Ergebnis dieses Verfahrens verbessern kann.

Diese Eigenschaft ist in der Praxis wichtig, weil sonst die Akzeptanz und freiwillige langfristige Teilnahme an solchen Verfahren nicht sichergestellt werden kann. Dieses Verfahren ist von einer geradezu ästhetischen Einfachheit und lässt sich auch durch einen Computeralgorithmus problemlos abbilden. Allerdings hat er nur unter bestimmten Annahmen seine wünschenswerten Eigenschaften, und diese Annahmen sind in der Realität nicht immer erfüllt.

Marktgestaltung für eine komplexe Welt
So kann es beispielsweise sein, dass Sie lieber in St. Gallen als in Zürich arbeiten und wohnen. Aber nur, wenn Ihr Partner auch eine Arbeit in St.Gallen hat. Arbeitet er in Zürich, ändert sich Ihre Vorliebe. In solchen und ähnlichen Fällen lassen sich aufgrund der Komplexität optimale Marktdesigns nicht mehr präzise mathematisch bestimmen, und andere, experimentelle Verfahren müssen hinzutreten, um vernünftige Marktdesigns zu finden.

Es ist eine der Hauptleistungen des Nobelpreisträgers Alvin E. Roth, den Faden hier aufgegriffen und andere, komplementäre Verfahren hinzugefügt zu haben, die dabei helfen, gute Marktdesigns für eine komplexere Welt zu entwickeln. Hierzu zählen Experimente, Computersimulationen sowie empirische Analysen. Neben diesen sehr praktischen Ergebnissen zu gutem Marktdesign ist es eines der zentralen Verdienste von Shapley und Roth, ein Bewusstsein dafür geschaffen zu haben, dass Marktregeln präzise gestaltbar sind.

Eine Idee, die schon heute in den oben angesprochenen Bereichen Wirkung zeigt, und deren Potential noch lange nicht ausgeschöpft ist.

Bild: Photocase / Anoehre

north