Meinungen - 20.07.2015 - 00:00 

Lehren aus der Schuldenkrise

Das Tauziehen um Griechenland hat die Schwachstellen Europas offengelegt, schreibt Wirtschaftswissenschaftler Markus A. Will: Eine fehlkonstruierte Währungsunion, fundamentale Meinungsunterschiede zwischen Nord- und Südeuropäern. Und eine fehlende demokratische Legitimation der EU.
Quelle: HSG Newsroom

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20. Juli 2015. Es gebührt jemandem zu danken, dem in diesen Tagen in der Europäischen Union und der Eurozone wohl niemand so recht Danke sagen möchte: Alexis Tsipras! Der Grieche hat der EU und dem Euro aufgezeigt, was die wahren Probleme sind: Erstens, eine fehlkonstruierte Währungsunion in der Eurozone, zweitens fundamentale Meinungsunterschiede zwischen Nord- und Südeuropäern und drittens die fehlende demokratische Legitimation der Europäischen Union. Wenn daran nach dem griechischen Theater nicht gearbeitet wird, endet das in einer wahrhaftigen Tragödie für Europa.

Zunächst noch einmal zu Griechenland selbst: Das Ergebnis ist keine Lösung. Das Land wird weiter Probleme machen, weil es die Regeln der Eurozone nicht akzeptieren will. Diese Regeln kann man mögen oder nicht, aber sie sind von allen anderen 18 Ländern akzeptiert (solange es nicht um diese Länder selbst geht). Die Griechen müssen verstehen, dass sie die Schulden selber gemacht haben, und die anderen müssen anerkennen, dass sie Mitschuld haben, weil sie das Geld ohne Bedingungen gegeben haben. Die Schulden selbst sind im europäischen Kontext «Kleingeld».

Nun zur fehlkonstruierten Währungsunion: Wir müssen nicht lange darüber diskutieren, dass eine Währungsunion zwingend eine Fiskalunion als Unterbau oder Zwilling bräuchte. Maastricht und Fiskalpakt reichen bei Weitem nicht aus. Wer den Euro will, wird also schnellstens über ein europäisches Fiskalbudget reden müssen. Dabei ist weniger das Budget das Problem, sondern wie man das Geld einsetzt und wer darüber verfügt. Das können nicht mehr die nationalen Regierungen sein – also weder Deutschland noch Frankreich, womit wir zum zweiten Punkt kommen.

Unterschiedliche Fiskalphilosophien

Das griechische Drama hat offenkundig gemacht, was man im Prinzip bereits wusste: Dass die Fiskalphilosophien zwischen Deutschland (für den Norden) und Frankreich (für den Süden) sehr unterschiedlich sind. Hier diszipliniertes Sparen und Arbeiten, dort ein weniger disziplinierter Umgang mit den Haushaltsbudgets und der Arbeitsmoral. Beides mag richtig sein, aber entscheidend ist, dass eine europäische Fiskalphilosophie beides in Einklang bringen muss. Auch das ist also kein Fall für nationale Kassenwarte mehr, sondern für einen europäischen Finanzminister.

Den hatte im Übrigen der frühere EZB-Präsident Trichet in seiner Dankesrede anlässlich der Karls-Preis-Verleihung 2011 gefordert. Und damit wären wir beim dritten Punkt: der fehlenden demokratischen Legitimation: Wer den Euro will, wird über eine stärkere politische Integration entscheiden müssen; denn sonst kann man keine Budgethoheit (dem vornehmsten Recht der Parlamente) übertragen. Am besten wäre eine Konföderation der Europäischen Staaten – mit starken Nationalstaaten, aber einer klar definierten und legitimierten europäischen Kompetenz.

Lehren aus der Schuldenkrise

Daran wird es sich weisen: Werden Frankreich und Deutschland und die anderen in Nord und Süd willens sein, diese Kompetenz abzugeben? Wird sich ein französischer Präsident von einem europäischen Finanzminister ins Budget hineinregieren lassen? Wird sich eine deutsche Kanzlerin hinter einen Kompromiss stellen, der eben nicht allein die deutsche Handschrift trägt? Diese Fragen hat Alexis Tsipras Europa gestellt, wobei er sich dabei gehörig daneben benommen hat. Aber das ist eine andere untergeordnete nationale Ebene.

Die Staats- und Regierungschefs gehen nun über den Sommer ein paar Tage in den wohlverdienten Urlaub und sollten einmal in Ruhe und Musse nachdenken, welche Lehren aus dem griechischen Desaster zu ziehen sind. Gerade Hollande und Merkel sollten das tun; denn in zwei Jahren stehen beide vor der Wiederwahl. Ob Alexis Tsipras bis dahin noch im Amt sein wird, ist sicher nicht gewiss. Aber dass Griechenland so oder so ein beherrschendes europäisch-innenpolitisches Thema sein wird, darf angesichts der aktuellen Lösung als gesichert angenommen werden.

PS: Ein bisschen Ehrlichkeit täte im Übrigen auch gut. Man sollte die Zahlungen an Griechenland als das bezeichnen, was sie sind: Transfers und keine Kredite. Insofern war die etwas holprig vorgetragene Idee des Euro-Sinn-Nachfolgers Clemens Fuest mit einem Soli für Griechenland gar nicht so dumm. Fehlt nur noch, dass jemand in der Ägäis oder so von blühenden Landschaften spricht.

Bild: Photocase / Savoulidis

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