Meinungen - 27.11.2015 - 00:00 

Klimapolitik: Das Gute liegt so nah

Ob der UNO-Klimagipfel in Paris ein Erfolg wird oder nicht, ist für HSG-Professor Rolf Wüstenhagen offen. Sicher ist: der Klimawandel bleibt ein dringendes Problem. Und: Die Lösung liegt in der Umsetzung von Energieeffizienz, erneuerbaren Energien und zukunftsfähiger Mobilität vor Ort.
Quelle: HSG Newsroom

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30. November 2015. Zum 21. Mal treffen sich in Paris Politiker aus aller Welt zum jährlichen UNO-Klimagipfel. In den zwei Jahrzehnten, die man mittlerweile um eine verbindliche internationale Klimapolitik ringt, ist das Problem schneller gewachsen als die Ansätze zu seiner Lösung. Als man 1997 mit dem Kyoto-Protokoll erstmals eine Vereinbarung über die Minderung der Treibhausgasemissionen unterzeichnete, betrug der globale CO2-Ausstoss 24 Gigatonnen pro Jahr. Doch «Kyoto» blieb ein zahnloser Tiger, und so wird mittlerweile nicht etwa weniger, sondern sogar um die Hälfte mehr Kohlendioxid ausgestossen als damals. In der Folge ist das Jahr 2015 auf gutem Wege, einen weiteren Rekord für das wärmste Jahr seit Menschengedenken aufzustellen, und extreme Wetterereignisse nehmen weltweit zu.

Klimarisiken am Finanzmarkt
Was zu tun wäre, ist eigentlich sonnenklar. Dank jahrzehntelanger Klimaforschung, zu der auch Schweizer Wissenschaftler massgeblich beigetragen haben, wissen wir heute, dass in der Atmosphäre noch Platz für so viel Kohlendioxid ist, wie bei der Verbrennung von 230 Gigatonnen Kohlenstoff entsteht. Das ist ungefähr ein Fünfzigstel dessen, was noch in Form von Kohle, Öl und Gas unter der Erdoberfläche lagert. Mit anderen Worten: Wollen wir gefährliche Veränderungen des Klimas vermeiden, müssen etwa 98% der fossilen Ressourcen im Boden bleiben. Diese einfache Erkenntnis hat weitreichende Folgen. Der Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, hat unlängst institutionelle Investoren vor dem Platzen einer Kohlenstoff-Blase an den Finanzmärkten gewarnt. Was heute in der Bilanz von Rohstoffkonzernen noch als wertvoll angesehen wird, könnte morgen eine Altlast darstellen. Der Versicherungskonzern Allianz und der staatliche norwegische Pensionsfonds reagierten mit der Ankündigung, sich aus Kohle-Investitionen zurückziehen zu wollen.

Kohlenstoffarmer Wohlstand
Um die Abhängigkeit von Kohle, Öl und Gas zu reduzieren, braucht es weitere Fortschritte in drei zentralen Bereichen: Stromversorgung, Gebäude und Verkehr. Die gute Neuigkeit: In allen drei Bereichen gibt es heute Technologien, die kohlenstoffarmen Wohlstand ermöglichen. In der Stromversorgung liegen die Kosten für Strom aus Sonnen- und Windenergie heute in vielen Ländern in der gleichen Grössenordnung wie Strom aus neuen Gas- oder Kernkraftwerken, und die Schweizer Wasserkraft bildet mit ihrer Speicherkapazität eine ideale Ergänzung dieser neuen erneuerbaren Energien. Im Gebäudesektor zeigen immer mehr Minergie- und Plusenergiehäuser, wie man Häuser effizient auf tiefe Energiekosten trimmt, und dass in Kombination mit Solarmodulen und Wärmepumpen sogar eine positive Energiebilanz erzielt werden kann. Und im Verkehr sieht man auch hierzulande immer mehr Elektrovelos und -autos, die einen Quantensprung bei der Energieeffizienz erlauben, lokale Emissionen vermeiden und uns von Energieimporten unabhängig machen.

Die Lösung geschieht vor Ort

Eine vielversprechende Ausgangslage für die Lösung des Klimaproblems, möchte man meinen. Ist in Paris also ein Durchbruch zu erwarten? Die Geschichte der internationalen Klimapolitik der letzten zwei Jahrzehnte legt nahe, sich zumindest auf zwei Szenarien vorzubereiten. Im optimistischen Fall kommt es tatsächlich zu einem verbindlichen Klimaabkommen, das zwar viele Schlupflöcher aufweisen wird, aber doch

wertvolle Leitplanken setzt, und somit Signalwirkung für die nationale Klimapolitik vieler Länder entfaltet. Im pessimistischen Szenario zeigt die internationale Politik einmal mehr, dass sie unfähig ist, das Problem zu lösen. So oder so entscheidet sich unsere Klimazukunft nicht in Paris, sondern bei der Umsetzung von Energieeffizienz, erneuerbaren Energien und zukunftsfähiger Mobilität vor Ort.

Foto: gernot1610 / photocase.de

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