Hintergrund - 06.11.2018 - 00:00 

Kinder-Uni: Zauber im Audimax – und in der Geschichte

Im Herbst finden die alljährlichen Kinder-Uni-Vorlesungen statt. Die erste Vorlesung war ausgebucht: Caspar Hirschi verzauberte über 600 Kinder.
Quelle: HSG Newsroom
HSG Kinderuni mit Caspar Hirschi

7. November 2018. Draussen stürmt es. Rote, braune und gelbe Blätter fliegen in die Luft. Dazwischen findet das Auge auch zahlreiche farbige Jacken von wissbegierigen Kindern, die den Weg ins Bibliotheksgebäude der Universität St.Gallen finden. Der Herbst ist in St.Gallen angekommen. Und damit auch der Start in die diesjährige Kinder-Uni.

Ein Jahr vorbereiten


«Die Vorbereitung für die diesjährige Kinder-Uni startete bereits vergangenes Jahr», erzählt Edith Steiner, die seit 14 Jahren die Kinder-Uni organisiert. So hat sie bereits 2017 die diesjährigen Dozentinnen und Dozenten angefragt, ob sie an einem Nachmittag Zeit und Lust hätten, eine Kinder-Uni-Vorlesung zu halten. «Einige Dozierende haben Respekt vor der Kinder-Uni und der Arbeit, ein Thema auf 45 Minuten zu reduzieren.» Diese Angst versucht Edith Steiner in einem persönlichen Gespräch zu nehmen. Zudem zeigt sie den Ablauf einer Kinder-Uni-Vorlesung auf und gibt ihnen Tipps wie man die Kinder fesseln kann. Beispielsweise helfen Interaktionen oder Bilder und Filme. «Das A und O ist aber der Titel der Vorlesung. Damit steht und fällt die Anzahl der Anmeldungen», erklärt Steiner. So sollte der Titel spannend und interessant sein und einfache Wörter und keine Fremdwörter beinhalten. «Dies macht es auch für meine Kollegin einfacher, welche die Einladungskarte und damit die Männchen passend zu den Titeln gestaltet.»

Edith Steiner wird jedes Jahr von einer studentischen Hilfskraft unterstützt. «Sie nimmt mir vieles ab. Jedes Kind erhält einen Bestätigungsbrief inkl. einer HSGcard. Wenn ein Kind alle vier Vorlesungen besucht, erhält es ein Zertifikat. Auch dieses muss vorbereitet werden.» Durch diese Unterstützung hat Steiner Zeit sich auch um Unvorhergesehenes zu kümmern. In diesem Jahr ist es die Teilnahme von seh- und hörbehinderten Kindern. «Für diese haben wir mit dem Servicezentrum Special Needs abgeklärt, welche technischen Hilfmittel die benachteiligten Kinder benötigen.» Ziel sei es, dass auch sie an der Vorlesung teilnehmen können. Trotzdem muss Edith Steiner auch Kinder, Eltern und Lehrkräfte enttäuschen. «In diesem Jahr sind wir das erste Mal bereits im Vorfeld ausgebucht. Dies an zwei Nachmittagen.» Trotzdem hat Steiner auch für diese Kinder eine Lösung. Die Vorlesung wird in die Aula übertragen.

Mit Harry Potter in die Geschichte eintauchen


Der erste Nachmittag ist ausgebucht. Geduldig warten die Kinder vor den Türen des Audimax. Darin selbst finden die letzten Besprechungen zwischen Edith Steiner, Caspar Hirschi und den helfenden Studierenden statt. Kurz vor 15 Uhr gehen die Türen auf, die «kleinen Studierenden» stürmen den grössten Vorlesungssaal der Universität. Plätze werden für die «Gspänli» reserviert, am liebsten zuvorderst. Wollen doch die Kinder alles genau mitkriegen. Innert kürzester Zeit ist der Hörsaal bis auf den hintersten Platz mit 600 Kindern gefüllt. Für die Eltern wird die Vorlesung in einen anderen Saal übertragen. Das Licht geht aus, die Vorlesung beginnt.

Den Auftakt der Kinder-Uni macht Prof. Dr. Caspar Hirschi. Er stellt sich den Kindern als «Experte für frühere Zeiten» vor. Und darum geht es auch in den nächsten 45 Minuten. In der Vorlesung «Zaubermaschinen – eine Geschichte vom Roboter bis Harry Potter» zeigt Hirschi auf, dass die Zauberwelt von Harry Potter aus Requisiten früherer Zeiten zusammengesetzt ist. So zeigt er Bilder von einem Esssaal der Universität Cambridge, welche stark der grossen Halle in Hogwarts gleicht. Auch Dampflokomotiven, wie der Hogwarts-Express, beförderten früher und auch heute noch Reisende in Grossbritannien. Zudem zeigt er auf, dass viele Zaubersprüche in den Büchern von Joanne Rowling auf das Lateinische zurückzuführen sind, «weil eben alte Magiebücher auch oft in Latein geschrieben waren». Der Kinder schreiben fleissig auf ihrem Kinder-Uni-Block mit.

Über 2000 teilnehmende Kinder

2002/2003 startete die Kinder-Uni in St.Gallen. Edith Steiner organisiert die Kinder-Uni nicht nur, sie ist auch mitverantwortlich, dass es die Kinder-Uni an der HSG gibt. «Wir hörten von der Universität Tübingen, dass sie Vorlesungen für Kinder eingeführt hatten. Da meine damalige Chefin und ich selber Kinder hatten, welche die 3. Klasse besuchten, kamen wir auf die Idee auch Kinder-Vorlesungen zu gestalten.» Mit Prof. em. Dr. Franz Jaeger hatten sie auch gleich einen Dozenten, der die Idee mitgestalten wollte. So kam es, dass die Universität St.Gallen mit der ersten Kinder-Universität in der Schweiz startete: An drei Nachmittagen erklärte Jaeger den Kindern «woher das Geld kommt».

Rund 300 Kinder zählten die Organisatoren – verteilt auf drei Nachmittage. «Am Anfang war es etwas zäh: Wir hatten noch nicht so viele Adressen und besuchten vereinzelt Schulen, um sie von der Idee der Kinder-Uni zu überzeugen», erzählt Edith Steiner. Auch dass ein Thema auf drei Nachmittage aufgeteilt wurde, war ein Grund, wieso nicht mehr Kinder die Vorlesungen besuchten. So wechselte man fünf Jahre später auf das heutige Konzept: Vier unterschiedliche Themen von vier Dozierenden an vier aufeinanderfolgenden Nachmittagen. «So kann ein Kind auch einen Nachmittag fehlen und verpasst trotzdem nichts.» Die Idee dahinter blieb die gleiche: Kindern aufzuzeigen, welche Fächer sie an der HSG lernen können. Ihnen zudem einen Einblick in eine Universität zu geben. «Und auch die Hemmschwelle bei Kindern und Erwachsenen abzubauen: Denn eine Universität ist nicht nur für Hochbegabte», betont Edith Steiner. Mit diesem neuen Konzept und eigener Bildsprache steigerte sich die Zahl der teilnehmenden Kinder von 300 auf mittlerweile 2000 Kindern.

Die Zeit verfliegt


Nicht nur Edith Steiner wird durch eine studentische Hilfskraft unterstützt. Auch Caspar Hirschi hat Verstärkung mitgenommen. Weil seine Vorlesung auf den Nachmittag vor Halloween fällt, stehen zwei Zauberer im Vorlesungssaal. Diese werfen den Kindern auch ein Mikrofon – getarnt als «Zauberwürfel» – zu, sobald Hirschi Fragen an die Kinder hat. So will er beispielsweise wissen, wieso man früher zaubern wollte? «Um Sachen zu erfinden.» «Um Dinge zu wissen, die nicht alle wissen.» Oder «Um Kranke zu heilen.» Der Wissensstand der Dritt- bis Sechstklässler ist bereits enorm. Die Kinder haben recht: So experimentierten Magier in früheren Zeiten wie die Zauberschüler in Hogwarts mit Schutz- und Schadenszauber, oder sie versuchten die menschliche Natur zu überwinden. Vor 400 Jahren merkten aber die ersten, dass mit der Beherrschung natürlicher Kräfte viel mehr zu erreichen war als mit der Beschwörung der übernatürlichen. Die neuen Zaubermaschinen der Wissenschaft zeigt Hirschi anhand von Filmen. Seien es elektrisch geladene Körper, welche Gold zum Fliegen brachten, den «Schachtürken» – ein Roboter –, der sogar Könige im Schach besiegte oder die ersten Flugversuche der Gebrüder Wright. Wie im Fluge verfliegen auch die 45 Minuten der Kinder-Uni und so erntet Caspar Hirschi am Schluss Applaus von den vielen wissbegierigen, jungen Studierenden.

Auch Caspar Hirschi sind die 45 Minuten kurz vorgekommen, «unter anderem weil die Kinder sehr konzentriert waren und mitmachten.» Einzelne Kinder war die Dreiviertelstunde zu wenig, viel zu viele Fragen haben sie noch. So darf Caspar Hirschi im Anschluss der Vorlesung vertiefter Auskunft geben und zum Teil auch noch auf deren Kinder-Uni-Block unterschreiben. «Im Nachhinein kann ich es ja sagen, ich war nervöser als vor einer ‹normalen› Vorlesung», sagt Hirschi. So habe er mehr Zeit in die Vorbereitung gesteckt und auch «Trockenübungen» gemacht. «Meine Frau und meine drei Kinder durften die Vorlesung bereits im Vorfeld hören.»

Der erste Kinder-Uni-Nachmittag ist vorbei. Die Kinder sind bereits wieder auf dem Heimweg. Drei weitere Vorlesungen stehen noch an. Und wie bei der ersten Vorlesung hofft Edith Steiner, dass sich die Kinder auch bei den nächsten Vorlesungen verzaubern lassen.

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