Meinungen - 22.02.2013 - 00:00 

Italien vor den Wahlen

Am 24. Februar 2013 wählen Italiens Bürger erneut ihre Regierung. Das Misstrauen in die politischen Institutionen ist gross. Und die italienische Gesellschaft ist gespaltener denn je, schreibt HSG-Professor Renato Martinoni.
Quelle: HSG Newsroom

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22. Februar 2013. Es ist nicht einfach, Italien zu verstehen. Auch weil es aus geschichtlichen Gründen viele «Italien» gibt. Der Lokalismus ist im Vergleich zu anderen europäischen Staaten sehr stark ausgeprägt: Richtig daheim fühlt sich der Italiener nur in der eigenen Stadt. Das erklärt auch, weshalb es italienischen Bürgern so schwer fällt, sich mit einem Staat zu identifizieren, der zentral ausgerichtet ist. Und dies, ohne auf die unterschiedlichen Bedürfnisse und die Vielfalt seiner Bürger einzugehen. Diese Distanz vergrössert die Kluft zwischen Bürgern und Institutionen. Fehlende gemeinsame Werte haben zu einer grundsätzlichen Spaltung innerhalb der italienischen Gesellschaft geführt.

Italien – Land ohne gemeinsamen Nenner
Es gab die Zeit des Faschismus und des Antifaschismus. Es gab den Machtkampf zwischen den Christdemokraten und den Kommunisten. Es gab einen Links- und einen Rechtsterrorismus. Es gab das Italien Berlusconis und das Italien gegen Berlusconi. Das nationale Bewusstsein ist noch nicht ausgeprägt. Dies kam bei der 150. Jahresfeier der Einheit, im Jahr 2011, deutlich zum Ausdruck. Die sezessionistische Partei Lega Nord hat alles versucht, um das Einigkeitsgefühl zu untergraben. Diejenigen, die die Einheit Italiens dennoch gefeiert haben, haben sich wieder nur auf den Mythos des «Risorgimento» (italienisch für «Wiedererstehung») und der Gründerväter gestützt, ohne die gegenwärtige Lage zu beachten.

Das Misstrauen bezieht sich auch auf die Politik: Die italienische Gesellschaft hat sich von der politischen «Kaste» immer weiter distanziert. Kein Wunder, dass antipolitische Bewegungen auf dem Vormarsch sind. Umfragen in der Bevölkerung bestätigen dies.

Vertrauen in die Carabinieri
Die Italiener haben kein Vertrauen in ihre politischen Vertreter. Vielmehr vertrauen sie Sicherheitssymbolen, wie der Polizei und den Carabinieri, aber vor allem ihrem Staatspräsidenten. Giorgio Napolitano hat 2011 Berlusconi durch Mario Monti ersetzt – und damit eine nicht ernst zu nehmende mit einer «strengen» Politik. Italiens Bürger wurden dabei trotz der Wirtschaftskrise zu mehr Opfern aufgefordert.

Nun muss Italien erneut eine Entscheidung treffen. Wieder einmal steht man vor Wahlen und die politische Landschaft Italiens ist gespaltener denn je. Medien spiegeln die Kluft: In italienischen TV-Kanälen wird Politik als lächerliches Spektakel vorgeführt. Auch beim Sanremo-Festival wurde in Form von satirischen Beiträgen über Politik gesprochen. Allein die Nachricht des Papst-Rücktritts hat den beschämenden Anblick der Polit-Shows die Schau gestohlen.

Und die Parteien? Diejenigen, die sich heute «Demokraten» nennen, gehen aus der alten kommunistischen Partei hervor. Die Koalition um Monti (auch Postfaschisten sind dabei) verknüpft die Ideale der internationalen Finanzwelt mit denen der alten «Democrazia cristiana». Die Allianzen von Berlusconi vermengen Populismus, regionale Autonomiebewegungen, Opportunismus und persönliches Interesse. Jeder möchte mitmischen.

Politisches Asyl im Tessin
Nostalgiker und Idealisten werden für die Linke stimmen. Die Pragmatiker für Monti. Träumer und die Opportunisten für Berlusconi. Und die Anarchisten für die Antipolitik. Am 24. Februar 2013 wird das Schicksal der «dritten Republik» besiegelt. Ein lombardischer Bürger hat schon Antrag auf politisches Asyl bei einer Gemeinde im Kanton Tessin gestellt, falls Berlusconi wieder gewinnen sollte.

Danach wird man sich mit der Realität konfrontieren müssen. Und es wird schmerzhaft sein. Die Italiener wissen das bereits. Sie möchten nicht das Beste, weil das nicht einmal zur Wahl steht, aber zumindest das kleinste Übel. In all dem bleibt aber ein Trost: Es gibt das Italien der Politiker und das andere Italien, das der Italiener. Dank dieser Wirklichkeit existiert das Land und es wird auch weiterhin überleben. Hoffen wir, dass die Italiener nicht mit dem Sieg derer erwachen, die Träume versprechen. Weil der Traum sich in den nächsten Jahren als Albtraum erweisen kann.

Bild: Photocase / Kuchenspinne

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