Hintergrund - 04.04.2023 - 11:40 

Iran: Repression, Risse im System und Ratlosigkeit

Die Aufstände im Iran bewegen die ganze Welt. Freiheiten, insbesondere für Frauen, werden gefordert – unerschrocken und furchtlos. Was hat sich seit Beginn der Proteste im September 2022 verändert? Wie kann die Schweiz den Befreiungskampf des Irans unterstützen? Eine hochkarätige Expertenrunde diskutierte am 30. März diese Fragen am Anlass «Woman, Life, Freedom – Eine Stimme für den Iran» im SQUARE. Neben der Hoffnung auf eine «Zeit danach» zeigte sich auch eine Ratlosigkeit über mögliche Perspektiven für einen freien Iran.
Quelle: HSG Newsroom
Die Aufstände im Iran bewegen die ganze Welt. Freiheiten, insbesondere für Frauen, werden gefordert – unerschrocken und furchtlos. Was hat sich seit Beginn der Proteste im September 2022 verändert? Wie kann die Schweiz den Befreiungskampf des Irans unterstützen? Eine hochkarätige Expertenrunde diskutierte am 30. März diese Fragen am Anlass «Woman, Life, Freedom – Eine Stimme für den Iran» im SQUARE. Neben der Hoffnung auf eine «Zeit danach» zeigte sich auch eine Ratlosigkeit über mögliche Perspektiven für einen freien Iran.

Der lichte Raum des SQUARE-Gebäudes steht im Widerspruch zu den dunklen Themen, die diesen Abend im SQUARE erörtert werden. Wie sieht die Lage im Iran ein halbes Jahr nach Beginn der Aufstände aus? Was wurde erreicht? Und vor allem: Wie geht es weiter? Diesen Fragen gingen Andreas Böhm von der Universität St.Gallen und Elika Palenzona-Djalili von der Universität Bern mit ihren Gästen nach: FDP-Nationalrätin Doris Fiala, Mitgründerin und Mitglied der Parlamentarischen Gruppe für Menschenrechte im Iran, Urs Gösken, Islamwissenschaftler, Saghi Gholipour, Mitgründerin von «Free Iran Schweiz», und Philippe Welti, ehemaliger Schweizer Botschafter im Iran.

Von den Strassen in die sozialen Medien

Seit Beginn der Proteste hat das Mullah-Regime im Iran über 20'000 Oppositionelle verhaftet und rund 500 Demonstrierende getötet, darunter auch Kinder und Jugendliche. Die massive Repression hat dazu geführt, dass die Proteste auf den Strassen abgenommen haben. Saghi Gholipour von «Free Iran Schweiz» beschreibt, wie sich die Proteste in die sozialen Medien verschoben haben und sich in «zivilem Ungehorsam» ausdrücken: Frauen, die ohne Kopftücher auf die Strassen gehen. Parolen, die aus dem Fenster gerufen werden oder als Graffiti ihre Botschaften im öffentlichen Raum hinterlassen. Der ehemalige Diplomat Philippe Welti war zwischen 2004 und 2009 Schweizer Botschafter in Iran. Die Proteste hätten in ihm Betroffenheit und Trauer, aber auch Ernüchterung hervorgerufen: «Es sieht so revolutionär aus. Ich kann aber nicht glauben, dass sich alles verändern wird.»

Beim Versuch, die Situation ein halbes Jahr nach Beginn der Proteste zu umreissen, zeigt sich: Es ist kein Schwarz-Weiss-Film, der abläuft. Der Aufstand wurde von Frauen ausgelöst und war anfangs feministisch geprägt, nun hat sich jedoch eine vielschichtige Bewegung über verschiedene Gruppen und Anliegen hinweg gebildet. Frauen seien die Trägerinnen dieser Bewegung, so Islamwissenschaftler Urs Gösken: «Frauen entscheiden erstmals in der Geschichte, wie über eine Bewegung gesprochen wird.» Welche Rolle spielt neben den Frauen die Jugend, geboren im digitalen Zeitalter? Elika Palenzona-Djalili spricht von ihren eigenen Erfahrungen im Iran, wie es früher unvorstellbar gewesen sei, ohne Kopftuch das Haus zu verlassen. «Junge Frauen getrauen sich das, obwohl sie damit ihr Leben gefährden. Die Generation Z ist sehr mutig, bestens vernetzt und weiss, wie Gleichaltrige im Ausland leben. Diese Generation hat nichts mehr zu verlieren», so die Islamwissenschaftlerin.

Druck aufbauen mit politischer Arbeit und Demonstrationen

Wie kann die Schweiz die Freiheitsbewegung für die Menschen- und Frauenrechte im Iran unterstützen? Was kann auf politischer Ebene erreicht werden? Philippe Welti fordert, dass der Bundesrat mit dem aktuellen Regime Klartext spricht – insistieren sei nicht wirkungslos. Auf Regierungsebene gäbe es noch viel Potenzial, so Welti. Auch die Parlamentarische Gruppe für Menschenrechte im Iran fordert den Bundesrat auf, die Hinrichtungen zu verurteilen und deutliche Massnahmen zu ergreifen. Die FDP-Politikerin Doris Fiala hat in der Wintersession 2022 gemeinsam mit fünf weiteren Nationalräten und Nationalrätinnen die Gruppe gegründet. Ziel ist es, den Menschen im Iran bei ihrem Kampf für Freiheit und Demokratie auch in der Schweiz Gehör zu verschaffen. Die Mitglieder der Parlamentarischen Gruppe übernehmen politische Patenschaften für Menschen, die vom Islamischen Regime zum Tod oder zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden sind. Nur internationaler Druck könne weitere staatliche Morde durch das Mullah-Regime verhindern, ist die Parlamentarische Gruppe überzeugt. 

Druck aufbauen – das ist auch im Sinne der Organisation «Free Iran Schweiz», die sich als Stimme für die Revolution im Iran sieht. «Free Iran Schweiz» unterstützt die oppositionelle Bewegung im Land und versucht auf Regierungen im Westen Einfluss zu nehmen, damit diese das islamische Regime nicht weiter unterstützen. «Es braucht internationalen politischen und medialen Druck sowie Demonstrationen, um Aufmerksamkeit zu erzeugen», betont «Free Iran Schweiz»-Mitgründerin Saghi Gholipour.

Sanktionen versus Soft Power

Eine Möglichkeit, Druck aufzubauen, sind Sanktionen. Der Nationalrat fordert mit einer Motion seiner Aussenpolitischen Kommission, dass der Bundesrat EU-Sanktionen gegen den Iran übernimmt. Die Meinungen in der Expertenrunde gingen auseinander, wie wirkungsvoll staatliche Druckmittel tatsächlich sind. Sanktionen zu personalisieren, damit sie nur diejenigen treffen, die es auch treffen soll, sei noch nicht möglich, sagt Philippe Welti. Saghi Gholipour hält dem entgegen. «Free Iran Schweiz» fordert bei der EU personalisierte Sanktionen. So müsse die Revolutionsgarde auf die Terrorliste gesetzt, Gelder gesperrt oder Reisen für die Machteliten Irans verunmöglicht werden. Nur so könne man die Demokratisierung im Iran vorantreiben: «Das Ziel muss sein, die Risse im Regime zu vertiefen und die Regierung nicht weiter zu legitimieren», sagt Gholipour. Der ehemalige Diplomat Welti hingegen schöpft Hoffnung aus der Soft Power, «dem Machtfaktor, der alles überstrahlt». Soft Power steht für Machtausübung, die auf liberalen Werten, Menschenrechten und Demokratie gründet. Diese Soft Power soll Mut machen, für liberale und demokratische Grundwerte einzustehen. Auch Bundespolitikerin Fiala plädiert dafür, dass die Schweiz gemeinsam mit Europa ihre Grundwerte verteidigt.

Wie weiter?

Iraner und Iranerinnen im Exil bereiten sich auf die Zeit nach dem Sturz des Regimes vor. Was danach kommt, ist offen. Einig ist sich die iranische Diaspora darüber, dass eine säkulare Demokratie der Weg in die Zukunft ist. Saghi Gholipour sagt: «Wir üben gerade Demokratie in der iranischen Diaspora. Es ist wichtig, das gemeinsame Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.» Doch wie lange ist der Weg zu diesem Ziel? Islamwissenschaftler Urs Gösken gibt zu bedenken, dass sich die Regierung des Irans als Vormundschaftsbehörde versteht und ihre Einwohner und Einwohnerinnen als Unmündige betrachtet. Grundrechte wie Freiheit sind nicht vorgesehen. Das jetzige System aus Repression sei deshalb nicht demokratisierbar, so Gösken. Das gibt wenig Anlass zur Hoffnung. Die Stimme für den Iran – sie ist auch geprägt von Ratlosigkeit. 

Text: Sabrina Rohner 
 

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