Leute - 26.04.2017 - 00:00 

In Gedenken an Claudio Soliva

Claudio Soliva war von 1980 bis 1994 ausserordentlicher Professor für Rechtsgeschichte an der HSG. Der Rechtshistoriker hat das Rechtsstudium mehrerer Tausend Schweizer Juristinnen und Juristen mitgeprägt. Am 7. April 2017 ist er verstorben. Ein Nachruf von Lukas Gschwend.
Quelle: HSG Newsroom

27. April 2017. Am 7. April verstarb im 89. Altersjahr der 1929 in Chur geborene Rechtshistoriker Prof. em. Dr. iur. Claudio Soliva-Wolf nach kurzer schwerer Krankheit. Nach der Matura und der Primarlehrerausbildung in Chur begann Soliva 1953 das Studium der Rechte an der Universität Zürich, das er 1959 mit dem Doktorat abschloss. 1965 folgten nach Forschungsaufenthalten in den Niederlanden die Habilitation und drei Jahre später die Wahl zum Assistenzprofessor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich. 1974 wurde Soliva ausserordentlicher Professor, 1981 bis zur Emeritierung 1995 war er dort Ordinarius für Schweizerische und Deutsche Rechtsgeschichte und Privatrecht.

Eigener Lehrstuhl für Rechtsgeschichte

Zeitgleich wirkte Soliva auch als ausserordentlicher Professor für Rechtsgeschichte an der damaligen Hochschule St.Gallen für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG), wo er bereits in den 1970er Jahren Lehraufträge wahrgenommen hatte. Mit der Einführung des volljuristischen Studienganges an der HSG avancierte die Rechtsgeschichte zum Pflichtfach, weshalb 1980 ein eigener Lehrstuhl geschaffen wurde. Soliva schätzte stets die kollegiale, respektvolle und lösungsorientierte HSG-Kultur und trug persönlich dazu bei, dass das Rechtsstudium an der HSG in der Juristenwelt bald hohe Wertschätzung genoss. Ausserhalb der Universität stellte er seine juristische Kompetenz und vielfältigen Talente als Präsident des Divisionsgerichtes 12, als Präsident der Rechtsquellenstiftung des Schweizerischen Juristenvereins sowie als Gutachter, Schiedsrichter und Mitglied verschiedener eidgenössischer und kantonaler Expertenkommissionen der Öffentlichkeit zur Verfügung.

Talentierter Hochschullehrer

Wissenschaftlich war Soliva geprägt von seinen Lehrern, den Romanisten Julius Georg Lautner (Universität Zürich) und Robert Feenstra (Universität Leyden) sowie vom Rechtshistoriker und Kriminalisten Karl Siegfried Bader (Universität Zürich). Mit seiner Studie über das eidgenössische Stadt- und Landrecht des Zürcher Bürgermeisters Johann Jakob Leu lieferte Soliva einen wesentlichen Beitrag zur Geschichte der Rechtswissenschaft in der Schweiz des 18. Jahrhunderts. Seine besonderen wissenschaftlichen Interessen galten der juristischen Wissenschafts- und Ideengeschichte. Wenn er die Geschichte der positiven Gesetzgebung in seinen Vorlesungen sorgfältig darlegte, war ihm stets wichtig, dass die Studierenden ein historisch-kritisches Verständnis für die hinter jedem Gesetz stehende Rechtsidee entwickelten. Sodann bemühte er sich, den Studierenden nicht nur die auch heute noch übliche europäische Dimension der Rechtsgeschichte zu vermitteln, sondern auch sehr substantielle Einblicke in die spezifisch schweizerische Rechtsentwicklung zu ermöglichen.

Soliva war ein überaus begabter Hochschullehrer. Er arbeitete bereits mit Visualisierungen des Stoffes, als dies in der Juristenausbildung noch als exotisch galt. In den Genuss seines Lehrtalents kamen die Studierenden insbesondere in den Übungen und Seminaren. Er konnte aber auch sehr fordernd sein und schreckte nicht davor zurück, einen Hörsaal voller passiver und zu keiner Interaktion bereiter Studierenden mit einer Vorlesung im engsten Sinne des Wortes zu bedienen, was er damit begründete, Minimalisten hätten nicht mehr als das Minimum verdient.

Kritisch-reflektierendes Forschen

Soliva vereinigte in einer ganz besonderen Weise Traditionalismus und Nonkonformismus. Unvergessen bleiben seine enorme Belesenheit und Rechtsquellenkenntnis. Sein aussergewöhnliches Formulierungsgedächtnis in Deutsch und Latein ermöglichte ihm, Plagiate in den Werken juristischer Gelehrter aus dem 17. und 18. Jahrhundert zu entdecken und den jeweiligen Quellen zuordnen zu können. Darauf angesprochen, weshalb er bei all seinem Wissen nicht noch mehr publiziert habe, konterte er schalkhaft, er habe tatsächlich sehr viel mehr gelesen als geschrieben und er halte es für beunruhigend, dass bei manchen jüngeren Wissenschaftlern das Gegenteil zu beobachten sei. Das für ihn typische studierende und reflektierende Forschen führte er nach der Emeritierung fort, indem er unmittelbar nach Aufgabe seines Lehrstuhls an der Universität Zürich ein Theologiestudium begann und sich der kritischen Analyse griechischer und hebräischer Quellen widmete.

Soliva hat das Rechtsstudium mehrerer Tausend Schweizer Juristinnen und Juristen mitgeprägt. Er liess den Geist der klassischen Universität auch im vom Massenbetrieb geprägten modernen Rechtsstudium aufleben. Unter seiner Leitung gelangte die Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen zu einer neuen editorischen Blüte. Sein Wirken bleibt seinen Studierenden in dankbarer Erinnerung.


Lukas Gschwend ist Ordinarius für Rechtsgeschichte, Rechtssoziologie und Strafrecht und Prorektor Studium & Lehre an der Universität St.Gallen.

Bild: Claudio Soliva bei seiner Abschiedsvorlesung am 5. Juli 1994

north