Meinungen - 30.11.2016 - 00:00 

Hektische Zeiten für Matteo Renzi. Italien vor dem Referendum

Am 4. Dezember wird Italien über eine Verfassungsreform abstimmen. Für einige hat dieses Referendum den gleichen Stellenwert wie der «Brexit» in Grossbritannien. Ein Stimmungsbild von Renato Martinoni.
Quelle: HSG Newsroom

1. Dezember 2016. Am 4. Dezember werden die Italiener über eine Verfassungsreform abstimmen, die die Kompetenzen des Senats weitgehend einschränkt. Ausserdem werden die Senatoren nicht mehr direkt gewählt, sondern aus dem Kreis der Regionalräte und der Bürgermeister entsandt. Daraus würden zwei Vorteile resultieren: die Kosten für die Arbeit der Institutionen wären niedriger (fast 1000 Repräsentanten sitzen in der Abgeordnetenkammer und im Senat) und die Doppelspurigkeiten (zwei gleich mächtige Kammern mit den genau gleichen Befugnissen) würden endlich verschwinden. Andere Reformen, über die man gleichzeitig abstimmen wird, sind die Neudefinition der Zuständigkeiten zwischen Staat und Regionen sowie die Schliessung des CNEL (Amt für Nationale Wirtschaft und Arbeit), ein Beratungsgremium, das viel kostet und wenig nutzt.

Unterschiedliche Lager
Die derzeitige Regierung unter Premierminister Matteo Renzi (der auch Parteisekretär des Partito Democratico ist), die Mehrheit des Partito Democratico und Teile des rechten Flügels sind für das «Ja». Die Reform, sagen sie, würde dazu dienen, die Kosten zu senken und mehr Effizienz zu erlangen. Mit allen Mitteln gegen die Verfassungsreform kämpfen die Fünf-Sterne-Bewegung, die populistische Partei Lega Nord und die Berlusconianer. Auch Teile des Partito Democratico und der radikalen Linken sind dagegen. Ihrer Meinung nach würde sich nichts verbessern. Man würde nicht sparen, die Senatoren würden nicht mehr demokratisch vom Volk gewählt werden und die Rolle der Regionen wäre unklar.

Eigentlich geht es hier nicht nur um die Abstimmung über Reformvorschläge, sondern auch über den angeschlagenen Premier Renzi und seine Regierung, die immer mehr Wählerstimmen verliert. Vergangenes Frühjahr hätte noch eine deutliche Mehrheit für das «Ja» gestimmt, jetzt scheint eher das «Nein» das Rennen zu machen. Wenn das «Ja» gewinnt, sagt der Ministerpräsident, dann geht der Aufwärtstrend in Italien weiter. Sollte aber das «Nein» gewinnen, dann wird Italien den Rückwärtsgang einlegen.

Abstimmung mit Brexit-Charakter?
Für einige hat dieses Referendum den gleichen Stellenwert wie der «Brexit» in Grossbritannien; und da die Zahl der Unentschlossenen gross und eine niedrige Wahlteilnahme zu befürchten ist, wird die Stimme der im Ausland lebenden Italiener ausschlaggebend sein. Auf alle Fälle wird der Wahlausgang Konsequenzen haben.

Renzi, der nunmehr 1000 Tage an der Regierung ist und dessen Rhetorik voller Slogan, immer stärker an Berlusconi erinnert, statt an seine Vorgänger Monti und Letta, hat vor einiger Zeit im Falle einer Niederlage bei dem Referendum den Rücktritt angekündigt. Aber das wird er wohl nicht tun. Um die Sympathie der Italiener für sich zu gewinnen und um die Aufmerksamkeit in eine andere Richtung zu lenken, attackiert er einstweilen Europa, das den mangelnden Einsatz Italiens, seine Haushaltsausgaben niedrig zu halten, kritisiert. Renzi behauptet, dass hierbei zwei Faktoren nicht berücksichtigt werden: das Erdbeben, das Italien heimgesucht hat und die Immigration auf dem Seeweg (mehr als 160'000 Menschen im Jahr 2016). Die osteuropäischen Länder, behauptet «der Verschrotter», bauen Mauern mit italienischen Geldern, während Italien mit dem Problem der Landung der Flüchtlinge zu kämpfen hat.

Man fragt sich, wer Renzis Stelle einnehmen wird, jetzt – wenn das «Nein» gewinnen sollte – oder bei der nächsten Parlamentswahl im Frühjahr 2018. Renzi selbst? Der Clan von Berlusconi, der sich sogar schwertut, neue Führungspersönlichkeiten zu finden? Die Rechte, die geteilt und schwach ist? Salvini, der rassistische Parteisekretär der Lega Nord? Ein junger Spund der Fünf-Sterne-Bewegung (einer davon hat vor kurzem das Chile von Pinochet mit Venezuela verwechselt)? Für ein Land wie Italien wird dies ein schwerwiegendes Problem bleiben.

Renato Martinoni ist Professor für Italienische Sprache und Literatur an der Universität St.Gallen.

Bild: Photocase / 50 Centimos

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