Hintergrund - 25.10.2019 - 00:00 

Geschichtsstunde: Alicia Penalba – Bedeutende Vertreterin der Abstrakten Kunst

Im Zuge der künstlerischen Ausgestaltung des Neubaus der Universität St.Gallen erstellte die argentinische Künstlerin Alicia Penalba ein Ensemble aus elf Betonplastiken beim Hauptaufgang der HSG.
Quelle: HSG Newsroom

Alicia Rosario Pérez Penalba wurde am 9. August 1913 in San Pedro, Provinz Buenos Aires (Argentinien) geboren. Ihre Eltern, Santiago Pérez und Remedios Penalba, waren spanische Einwanderer. Ihr Vater arbeitete als Trassierer bei der argentinischen Eisenbahn. Daher war die Familie gezwungen, sich in verschiedenen Städten der argentinischen Cuyo-Region, in Patagonien und Chile niederzulassen. Schon als kleines Kind lernte Alicia auf diesen Reisen eindrückliche und kontrastreiche Landschaften, tropische Wälder und Wüsten kennen.

Frühe Emanzipation

Mit fünfzehn Jahren machte Alicia Penalba ihren ersten Versuch, der familiären Enge und der Unnachgiebigkeit ihres Vaters zu entfliehen. Durch ein Schreiben an den Gouverneur der Provinz San Juan bekam sie eine Stelle in der lokalen Verwaltung. 1929 nahm sich eines ihrer Geschwister siebzehnjährig das Leben. «Ich beschloss, den Fluch meines Elternhauses zu brechen, allein wegzulaufen, so wie ich es mir so oft erträumt habe, als ich jünger war; auf der Suche nach vollständiger Unabhängigkeit in meinen Handlungen, mit freien Händen zu tun und zu verwerfen», äusserte sich Penalba später. Ihr starkes und eigenwilliges Temperament konnte sich gegen den verhassten Vater durchsetzen. So zog sie im Alter von 17 Jahren allein nach Buenos Aires. Von 1930 bis 1934 studierte sie dort an der Akademie der Schönen Künste Zeichnung und Malerei. Durch erste regionale Ausstellungen und nationale Preise erregte sie als junge Künstlerin früh Aufmerksamkeit.

Aufstieg zur internationalen Künstlerin

1948 konnte Alicia Penalba durch die Auszeichnung mit einem staatlichen Stipendium der französischen Regierung nach Paris übersiedeln. Drei Jahre arbeitete sie im Atelier des russischen Bildhauers Ossip Zadkine in der «Académie de la Grande-Chaumière». Sie beschloss, sich ausschliesslich der Bildhauerei zu widmen und vernichtete 1951 die meisten früheren Werke. Ab 1952 begann die Künstlerin einige für ihren Stil charakteristische Merkmale zu entwickeln, z.B. ihre typischen totemistischen Plastiken, die an versteinerte, exotische Pflanzen erinnern. Sie schloss Freundschaften mit bedeutenden Bildhauern ihrer Generation wie Etienne-Martin, François Stahly und Etienne Hajdu. Nach der Teilnahme an zahlreichen Gruppenausstellungen wurden Penalbas Werke 1957 in ihrer ersten Einzelausstellung in Paris in der «Galerie du Dragon» gezeigt. 1959 nahm sie an der «documenta II» in Kassel teil. Mit der Zeit entwickelten sich Ideen zu einer neuen Konzeption der Skulptur, hin zu einer architektonischen Einbettung gedachter Formen.

Verbindungen zur HSG

Im Zuge der künstlerischen Ausgestaltung des Neubaus der HSG wurde Alicia Penalba am 1. Juni 1960 von Prof. Eduard Naegeli um einen Entwurf für eine Holzskulptur angefragt. In der Sitzung der neu von Rektor Prof. Walter Adolf Jöhr einberufenen Kunstkommission wurde am 9. September 1960 eine grosse Skulptur aus Beton oder Blei vor dem Hauptgebäude vorgeschlagen. Die Idee, ein Ensemble zu schaffen, dürfte 1961 entstanden sein. Da man sich in den entscheidenden Gremien der Wichtigkeit des geplanten Standortes bewusst war, wurde Penalba zu einer Begehung nach St.Gallen eingeladen.

Architekt Walter Förderer berichtet: «Bei einem Besuch von Alicia Penalba auf der Baustelle hat sie den Gedanken an mich herangetragen. Statt der von mir vorgeschlagenen ‹naturhaften› Einzelplastik hat sie mir eine Vermittlung zwischen Park und Architektur mit einer plausiblen Metapher einleuchtend dargestellt: ‹Es sollten Figuren sein, zwischen denen die Augen der Besucher Wege wie Ameisenstrassen finden.› Sie hat dann später anhand kleiner Handmodelle ihre Vorstellung in einer Demonstration auf einem Karton vor Ort veranschaulicht.» Sie führte zur Konzeption weiter aus:

«Die Form, wie ich sie auffasse und wie ich sie ausführen will, kann keinem Gegenstand gleichen, der existiert, - es sei denn in ihrem sich selbst unbewussten Innern, dessen Seinsbotschaft ich auszudrücken suche. (…) Was einzig zählt, ist die Anordnung, die innere Beziehung, der Rhythmus, so wie auch die Musik sich nur als Ganzes ausdrückt; wenn dieses Innere, die Seele fehlt, sind alle bildlichen Darstellungen irgendeiner Naturform ähnlich.»

Betonplastiken beim Hauptaufgang

Der Hochschulrat bewilligte am 18. Juni 1962 den Auftrag zur Ausführung des Werkes, mit dem Vorbehalt, dass die Umsetzung erst nach Vorlage eines Modells und dessen Prüfung erfolgen darf. Im Herbst 1962 reichte Alicia Penalba ein Gipsmodell für die Betonplastiken ein. Und am 11. Juni 1963 vergab der Senatsausschuss aufgrund dieses Modells und einer Vor-Ort-Besichtigung den Auftrag zur Erstellung der Plastiken beim Hauptaufgang. Die Vertragsunterzeichnung erfolgte im Juli 1963.

Ende August bis Anfang November 1963 erstellte Alicia Penalba das Ensemble aus elf Betonplastiken. Diese Plastiken sind aus den gleichen Materialien wie die dahinter liegenden Mauern, nur in einer grobkörnigeren Struktur. Die in einem freien und tänzerischen Rhythmus über die Wiese erstellte Figurengruppe war als fliessender Übergang von der naturhaften Parkanlage zu dem im brutalistischen’ Stil der Architekten Förderer, Otto und Zwimpfer erstellten Neubau der HSG gedacht.

Bedeutende Vertreterin der Abstrakten Kunst

In den 1960er Jahren bekamen Alicia Penalbas Werke internationale Anerkennung. 1961 erhielt sie an der Biennale von São Paulo (Brasilien) den Grossen Preis für Skulptur. Galerien und Museen weltweit begannen sich für ihre Arbeiten zu interessieren, u.a. in New York, Rio de Janeiro, Zürich, Rom, Mailand und Eindhoven. Ab 1964 besass Penalba im Pariser Marais-Quartier ihr eigenes Atelier. Im gleichen Jahr stellte sie neue Werke an der «documenta 3» in Kassel vor. Sie begann mit der Erstellung monumentaler Werke. Gleichzeitig entstanden mit den «Formes volantes», direkt auf Mauern gesetzten fliegenden Formen, ein individueller Ansatz zu einer Neudefinition der Skulptur. Die grosse Retrospektive «Totem und Tabu», veranstaltet im Mai 1968 durch das «Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris» (zusammen mit Wifredo Lam und Roberto Matta), bestätigte den internationalen Ruf Penalbas.

Werke der 1970er Jahre

Die Kreation monumentaler Werke für Skulpturen-Parks wurde in den 1970er Jahren für Penalba erneut werkbestimmend, u.a. in Frankreich, Belgien, Deutschland, Argentinien und in den USA. Parallel dazu entstanden auch kleinere Skulpturen. Ausserdem experimentierte sie mit Lithografie, Collagen, Tapisserie, Porzellandesign und Schmuckstücken. 1974 wurde sie mit dem Preis der Gulbenkian Foundation ausgezeichnet. Alle ihre Werke signierte sie konsequent nur mit ihrem Mutternamen: Penalba.

Alicia Penalba starb, zusammen mit ihrem Partner Michel Chilo, bei einem Autounfall am 4. November 1982 in der Nähe von Dax (Frankreich).

Portal zur Geschichte der Universität St.Gallen

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