Veranstaltungen - 14.09.2021 - 00:00 

Gelungener Auftakt zur neuen Gesprächsreihe IHKtalks@HSG

Unternehmen müssen Verantwortung für ihr Handeln und ihre Produkte übernehmen. In Zeiten von Klimawandel, Überkonsum und Artensterben gilt dies erst recht. Auch Bildungseinrichtungen wie die Universität St.Gallen stehen in der Pflicht, verantwortungsbewusstes Handeln zu fördern. Darüber herrschte Einigkeit beim ersten IHKtalk@HSG.
Quelle: HSG Newsroom

14. September 2021. Gemeinsam mit der Universität St.Gallen (HSG) hat die IHK St.Gallen-Appenzell das Format IHKtalks@HSG ins Leben gerufen. Jeden ersten Donnerstag im Monat diskutieren Ostschweizer Unternehmerinnen und Unternehmer mit Professorinnen und Professoren der HSG aus unterschiedlichen Perspektiven über die Themen Verantwortung und Vertrauen. Den Auftakt machten am Donnerstag, 9. September 2021, Prof. Dr. Thomas Beschorner, Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik sowie HSG-Alumnus Dr. Hans-Dietrich Reckhaus, Inhaber der Reckhaus Gruppe. Das Gespräch wurde von IHK-Direktor Markus Bänziger moderiert und live gestreamt.

(Vor) Insekten schützen

Reckhaus produziert Insektenbekämpfungsmittel, hat aber vor einigen Jahren mit «Insect Respect» das weltweit erste Gütesiegel zum Schutz sowie zur Förderung von Insekten initiiert. So prangt auf den Produkten der Firma eine Warnung, die ästhetisch an jene erinnert, die man von Zigarettenpackungen kennt. «Insekten sind äusserst wichtig und massiv bedroht. Doch ohne sie überleben wir Menschen nur wenige Monate. Darum braucht es einen neuen Umgang mit ihnen», so Hans-Dietrich Reckhaus, für den die gesellschaftliche Verantwortung bei Unternehmen an erster Stelle stehen muss: «Erst die Haltung, dann der Kommerz». «Jedes gesellschaftliche Problem ist eine potenzielle Geschäftsidee. So muss man denken, um einen Beitrag zu leisten», bestätigt Thomas Beschorner. Er verwies auf den von seinem Lehrstuhl-Vorgänger Prof. Peter Ulrich geprägten Begriff der «lebensdienlichen Ökonomie». Dies sei ein modernes Unternehmensverständnis. Über die neoliberale Ökonomie sei man längstens hinaus, nicht nur in der Wissenschaft, auch in der Praxis. «Es gibt klare Signale der Gesellschaft, dass die alte ʹFriedman-Storyʹ der Gewinnmaximierung ausgedient hat. Heutzutage wird von Unternehmen mehr verlangt. Die Konzernverantwortungsinitiative etwa war ein Warnschuss.»

 

 

 

 

Erst die Haltung, dann der Kommerz.

 

 

 

 

 

Dr. Hans-Dietrich Reckhaus

 

 

 

 

Schwierige Überzeugungsarbeit

Hans-Dietrich Reckhaus hatte nicht nur grosse Mühe, seine Hausbank vom neuen Kurs zu überzeugen, sondern auch Lieferanten und insbesondere die Mitarbeitenden. «In den letzten Jahrzehnten haben wir Insekten als Schädlinge gesehen und bekämpft. Immer mehr verstehen wir aber, wie wichtig sie sind. Vor neun Jahren habe ich begonnen, meinen Mitarbeitenden zu sagen, dass wir uns mit den Schäden unserer Produkte auseinandersetzen müssen.» Es sei für viele sehr schwierig gewesen, dies vom Chef zu hören. «Ich hatte zu Beginn keinen einzigen Mitarbeiter auf meiner Seite. Viele hatten Angst um ihren Job.» Geholfen haben schliesslich die Auszeichnungen und Preise für das Unternehmen sowie positive Medienberichte. Als auch erste neue Geschäftspartner gefunden wurden, hätten die Mitarbeitenden gesehen, dass es funktionieren kann.

Die Macht des Storytellings

Thomas Beschorner betonte die Wichtigkeit von Geschichten, um ein gemeinsames Verständnis zu schaffen und Veränderungen zu bewirken. Reckhaus ist ein gutes Beispiel dafür. So etwa mit der Kunstaktion «Fliegen retten» oder als Hans-Dietrich Reckhaus persönlich mit dem Presslufthammer begann, den Firmenparkplatz aufzureissen, um dort insektenfreundlichen Lebensraum zu schaffen. «Wissen haben wir als Gesellschaft genug. Aber Bilder und Geschichten fahren ein und fördern die Identifikation und Selbstwirksamkeit.» Inzwischen erhält Reckhaus Bewerbungen von hochqualifizierten Mitarbeitenden, die nie für gewöhnliche Insektizid-Hersteller arbeiten würden. «Sie möchten Teil unserer Geschichte werden und sind dafür sogar bereit, weniger zu verdienen.» Gemäss Thomas Beschorner ist Reckhaus ein Sonderfall, da sich Firmen in puncto Verantwortung häufig erst bewegen, wenn der Druck von aussen steigt, etwa durch NGOs oder die Politik. «Darum müssen wir versuchen, die intrinsische Motivation in Unternehmen zu fördern.» Wichtig sei eine hohe Diversität in Teams und da zählen Personen dazu, die auch mal etwas schräg denken. Zudem brauche es ein neues Narrativ, ergänzt Hans-Dietrich Reckhaus: «Wir müssen erzählen, dass Corporate Social Responsiblity Spass macht. Man muss Lust darauf machen, etwas zu bewegen. Ich fühle mich viel besser als vor zehn Jahren, weil ich mein Unternehmen als gesellschaftlichen Hebel nutze und etwas bewirke.»

 

 

 

Gelungener Auftakt zur neuen Gesprächsreihe IHKtalks@HSG

 

 

 

Erster IHKtalk@HSG: Vertrauen und Verantwortung – was bedeutet dies für Unternehmen?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

«Geschichten sind ganz wesentlich für jeden Transformationsprozess in Organisationen oder in der Gesellschaft», so Thomas Beschorner.

 

 

 

Verantwortung im Fokus der Ausbildung

Welche Möglichkeiten haben Bildungseinrichtungen wie die HSG, um die intrinsische Motivation von Mitarbeitenden zu fördern? Zwar habe die HSG 1987 als erste Universität im deutschsprachigen Raum einen Lehrstuhl für Wirtschaftsethik gegründet, doch erst seit einigen Jahren nehme das Thema richtig Fahrt auf und das Interesse der Studierenden steige massiv. «Ich bin froh, dass die HSG erkannt hat, dass wir die Themen CSR, Konsumverantwortung etc. ins Pflichtprogramm nehmen müssen.» Inzwischen sei man ganz gut unterwegs. Schliesslich sei auch empirisch belegt, dass Fragen zu Verantwortung und Nachhaltigkeit heute viel bedeutender seien als vor 20 Jahren. «Man sucht auch einen Job, der Sinn macht.» Lehrveranstaltungen in Wirtschaftsethik seien aber kein Moraltraining. «Wir versuchen nicht, unsere Studierenden zu besseren Menschen zu machen.» Es gehe in weiten Teilen um die Frage, wie man Verantwortung in Strukturen organisiere. Es brauche eben nicht nur Individualethik, sondern auch Institutionenethik. Gemeint sind Regelsysteme, die helfen, richtig zu handeln, wie etwa ein Code of Conduct. Allerdings lasse sich verantwortungsvolles Handeln nicht auf ein paar Gebote oder Prinzipien reduzieren. «Es braucht auch Compliance und Integrität.» Kann man Integrität lernen? «Ja», sagt Thomas Beschorner. «Die Studierenden können Marketing oder Strategie lernen, dann können sie auch moralisches Handeln lernen – im Sinne einer Reflexion über das richtige Tun.» Dies passiert in Form von Gedankenexperimenten oder Rollenspielen, wo man sich ins Gegenüber hineinversetzt. «Kann ich mein Handeln rechtfertigen, etwa gegenüber meiner Familie oder den Medien?»

 

 

 

 

Wir müssen versuchen, die intrinsische Motivation in Unternehmen zu fördern.

 

 

 

 

 

Prof. Thomas Beschorner

 

 

 

 

Was tun die Konsumentinnen und Konsumenten?

Gemäss Hans-Dietrich Reckhaus wird verantwortungsvolles Handeln von Kunden noch zu wenig honoriert. Entsprechend schwierig war die wirtschaftliche Situation für seine Firma. Erst in den letzten Jahren konnten grosse Kunden wie Aldi, Spar und zuletzt die Migros gewonnen werden. «Jetzt beginnen wir stark zu wachsen. Wir als Wirtschaft haben den Hebel, Konsumenten zu sensibilisieren.» Diese würden heute mit Werbung zugedröhnt und hätten wenig Orientierung. «Wir wissen aber ganz genau, was in unseren Produkten ist.» Thomas Beschorner sprach von einer «Schizophrenie» der Gesellschaft. «Wir sind immer in verschiedenen Rollen: So kritisieren wir etwa als Bürger, wie wir selbst als Konsument handeln.» Unternehmen müssten mehr zur Aufklärung beitragen, da zähle auch die Sortimentsverantwortung dazu. «Dies sollte einhergehen mit einem Dialog mit den Konsumenten, so etwa das Aufklären über Food Waste.» In diesem Sinne ist auch die Warnung auf den Produkten von Reckhaus zu sehen. «In dem Moment, wo ich vor dem Töten warne, übernehme ich Verantwortung. Ich habe mich dabei nicht gefragt, wie sich das auf den Umsatz auswirkt. Es hat sich für mich einfach gut angefühlt.» Inzwischen werde das Engagement von Reckhaus auch von Kunden vermehrt wahrgenommen. «Meine Konkurrenten machen alle weiter wie bisher und verlieren zunehmend an Vertrauen.» So kann verantwortungsvollen Handeln auf die Zukunft einzahlen und sich letztlich auch ökonomisch lohnen.

Die nächsten IHKtalks@HSG

  • 7. Oktober 2021: CSR – Nachhaltigkeit in der Unternehmensstrategie
    Katharina Lehmann, Lehmann Gruppe, im Gespräch mit Prof. Dr. Judith Walls
  • 4. November 2021: Die regionale Verantwortung der HSG für die Ostschweiz
    Katherine Broder, GeoMax Positioning, im Gespräch mit Prof. Dr. Ulrich Schmid
  • 2. Dezember 2021: Vertrauen – eine Voraussetzung auch für Mitarbeitende
    Roger Dudler, Frontify, im Gespräch mit Prof. Dr. Antoinette Weibel

 

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