Meinungen - 15.06.2016 - 00:00 

Fegt ein «Brexit» Cameron aus dem Amt?

Dass sich Grossbritanniens Macht zum Teil nach Brüssel verlagert hat, ist für viele Briten nicht mehr zu ertragen. Sie wollen raus aus der Europäischen Union. Wie immer das Austrittsreferendum Grossbritanniens aus der EU ausgeht: Der 23. Juni 2016 wird Europa verändern. Ein Gastkommentar von HSG-Wirtschaftsdozent Markus A. Will.
Quelle: HSG Newsroom

17. Juni 2016. In den königlichen Feierstunden war es ruhig. Ansonsten explodieren «Bomben», herrschen «Sicherheitsängste» und wird vor der «Invasion krimineller Migranten» gewarnt. Es sind – Gott sei Dank – nur Wortgefechte, die vor dem Referendum stattfinden. Selbstverständlich gibt es seriöse Argumente und ökonomische Ausarbeitungen, aber es ist das Emotionale, das vorherrscht. Von der sympathischen Gelassenheit und dem «british sense of humor» ist in diesen Tagen nichts zu spüren.

Mögliche Szenarien eines Brexit

Vor allem bei Premier David Cameron und den «Remainers» herrscht nackte Panik. Wäre es nicht so wichtig, könnte man schadenfroh sagen: Geschieht ihm recht. Nur mit dem Versprechen, ein für sein Land ungewöhnliches Referendum abzuhalten, hat er 2015 seine Wiederwahl geschafft. Nun agiert er wie ein «Zauberlehrling», der die Geister nicht wieder loswird. Selbst wenn er das Referendum knapp gewinnt, könnte ihn der «Brexit»-Besen aus dem Amt fegen. Die Tories sind völlig zerstritten.

Zudem hat Cameron nicht nur einen schlechten Deal ausgehandelt, sondern die falsche Frage aufgeworfen: Wann und wie kann die Sozialhilfe für neue Zuwanderer begrenzt werden? Als ob das die alleinige Existenzfrage wäre. Im Grunde wird sich die EU nach dem Entscheid so oder so mit ihrer Daseinsberechtigung auseinandersetzen müssen: Wofür soll die Union einstehen und was sollen die Nationen selber bestimmen? Wenn man so will, ist das das einzig Gute an der «Brexit»-Diskussion.

Wie es ausgeht? Schwer zu sagen: Mal ist «In», mal «Out» vorne. Es wird, ohne Zweifel, ein historischer Tag für Europa, inklusive der Schweiz: Denn nur im Falle eines «In» dürfte sich für die Berner Diplomaten ein kurzes Zeitfenster öffnen, um für die Zuwanderungsklausel Gehör zu finden. Ob es gelingt kann, sie mit der EU zu vereinbaren und der Masseneinwanderungsinitiative gerecht zu werden, ist eine andere Sache. Warum sollte der Schweiz mehr zugestanden werden als den Briten?

Folgen für die EU und die Schweiz

Für die Schweiz ist die «Brexit»-Entscheidung und deren Folgen für die EU ebenso fundamental wie für die EU selbst. Auch wenn die Schweiz und Britannien (anders als Schottland) gerne in ihrem Euroskeptizismus verglichen werden, sind die Länder nicht vergleichbar: Die Schweiz ist eine erfolgreiche, wettbewerbsfähige und exportorientierte Nation, die etwas produziert, was man in der Welt und vor allem in Europa trotz Frankenstärke verkaufen kann, und zwar dank der Bilateralen.

Grossbritannien ist – abgesehen vom Finanzplatz – nicht sehr wettbewerbsfähig. Die Widersacher der EU, allen voran der schillernde ehemalige Londoner Bürgermeister Boris Johnson, glauben, sich von den Fesseln der EU befreit, besser global aufstellen zu können. Die «Leavers» verabscheuen «Brüssel», die Ineffizienz der EU sowie die Personenfreizügigkeit. Doch wer die britische Bürokratie und Infrastruktur kennt, wird sie nicht wirklich als vorbildlich bezeichnen. Und in der Frage der Personenfreizügigkeit schlägt die Migrationspolitik hohe Wellen. Die «Leavers» glauben, dass ihre Insellage sie vor diesen Wellen schützt. «Rule Britannia, Britannia rules the waves» wird heute aber nur noch in den Fussballstadien von den Engländern gesungen. Der Rest ist Nostalgie!

Bild: Photocase / archimede

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