Meinungen - 15.06.2012 - 00:00 

Faire Lösung für den Finanzstreit

Italien ist nicht nur «Das Land, wo die Zitronen blüh’n», es ist auch einer der wichtigsten Wirtschaftspartner der Schweiz. Wie sich die Eurokrise auf das Verhältnis der beiden Länder auswirkt, beschreibt Professor Renato Martinoni.
Quelle: HSG Newsroom

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15. Juni 2012 Seit einiger Zeit spricht man von einer gespannten Beziehung zwischen Italien und der Schweiz. Es geht nicht um Politik, die Uneinigkeiten betreffen eher die Finanzen. Seit einem halben Jahrhundert bieten helvetische Banken dem italienischen Geldkapital Zuflucht. Der Finanzplatz Lugano, der drittwichtigste der Schweiz, wäre ohne dieses Kapital fast verloren.

Kameras an den Tessiner Grenzen
Die Gründe für diesen Kapitalzufluss sind vielfältig: die Stabilität des Schweizer Franken, die Sicherheit, die Diskretion und die Organisation der Schweizer Banken, das Vertrauen in ein Land wie die Schweiz, das Respekt und Bewunderung hevorruft. Mit einer schweren Wirtschafts- und Liquiditätskrise konfrontiert, hatte die Regierung Berlusconi versucht, das Phänomen der Abwanderung und die Rückführung von Kapital mit drastischen Methoden einzudämmen. An den Grenzen wurden deshalb Kameras aufgestellt, um das verdächtige Hin-und Herfahren der Italiener zu kontrollieren. Die Schweiz wurde auf eine «Black list» der Steuerparadiese gesetzt.

Dies alles hat zu grossen Spannungen geführt, vor allem im Kanton Tessin. Nach dem langen Zögern des Bundesrates beschloss die Tessiner Regierung kurzerhand, die Italien zustehenden Gelder einzufrieren und vorläufig nicht auszuzahlen. Allein im Kanton Tessin gibt es 54`000 Italiener, die die Grenze jeden Tag passieren: Das ist mehr als ein Viertel der arbeitenden Bevölkerung. Viele norditalienische Wohngemeinden sind dadurch in finanzielle Not geraten. Italien hat als Antwort neue Gesetze erlassen, die Bürokratie verkompliziert und so weitere Hindernisse für die Wirtschaftsbeziehungen beider Länder geschaffen.

Faire Lösungen für beide Länder
Nach dem Treffen in Rom zwischen Mario Monti und Evelyne Widmer-Schlumpf sollte man davon ausgehen, dass man einen vernünftigen Kompromiss finden wird. Allerdings sollte auch der Bundesrat das gleiche Engagement zeigen, dass er bei den Verhandlungen mit Frankreich und Deutschland aufgebracht hat. Die italienische Schweiz erwartet eine klare Unterstützung der Berner Autoritäten, auch um das Gefühl des Alleingelassenseins zu bewältigen, das zur Entstehung und Etablierung von populistischen Parteien mit ihren Strategien der Abgrenzung, des Protests und der Autonomie geführt hat.

Die Beziehungen zwischen Italien und der Schweiz beschränken sich nicht nur auf Finanzangelegenheiten. Intensive diplomatische und kulturelle Beziehungen, die Jahrhunderte zurückreichen, haben ein solides Fundament für die «Wahlverwandtschaft» geschaffen.

Italianità in der Schweiz
Die italienische Einwanderung hat dem Schweizer Alltagsleben auch einen Hauch Italianità verpasst, wie Esskultur und Lebensstil zeigen. Kein anderes Land ist der Schweiz so nah im Guten und im Bösen (dies ist fast ein Paradox), wie Italien. Es ist nicht nur «Das Land, wo die Zitronen blüh’n», es ist auch einer der wichtigsten Wirtschaftspartner der Schweiz. Hoffen wir, dass bei den bilateralen Diskussionen künftig gemeinsam nach fairen Lösungen für beide Länder gesucht wird.

Bild: Photocase / Martin Runkel

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