Meinungen - 27.06.2012 - 00:00 

Europäische Rocky Horror Show

Was ist von dem EU-Gipfel am 28. Juni zu erwarten? Etwa ein Zeitsprung in der europäischen Integration in Form einer Banken, Fiskal- oder gar Wirtschaftsunion? Dirk Lehmkuhl über die politische Lage in der EU.
Quelle: HSG Newsroom

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26. Juni 2012. Die Wirtschafts- und Währungspolitik der Europäischen Union erinnert verdächtig an die Rocky Horror Show. Im Refrain des «Time Warp»-Songs heisst es: «It's just a jump to the left; and then a step to the right». Doch was auf der Bühne als Einstieg in den Zeitsprung dazu Anlass gibt, wieder und wieder aufgeführt und bejubelt zu werden, löst sich in der Realität der europäischen Politikgestaltung schlicht als mühsam kaschierter Stillstand auf. 

Oder bewegt sich die EU doch? Auch wenn uns täglich wieder der Horror angesichts von Finanzdaten, Polemiken und scheinbaren Seitwärts- statt Vorwärtsbewegungen packt, steht die EU längst nicht mehr da, wo sie zu Zeiten der Entscheidung zur Wirtschafts- und Währungsunion 1989 war. Nur zwei Beispiele.

Stabilitätspakt und Risikoüberwachung

Erstens, der auf Drängen Deutschlands eingeführte und dann von Deutschland als erstem Land missachtete Stabilitäts- und Wachstumspakt mit seinen «Pi mal Daumen» festgesetzten Verschuldungsgrenzen hat durch neue europäische Verordnungen Biss erhalten. Was verbesserten Verfahren der Kontrolle dient, geht aber gleichzeitig einher mit einer Stärkung der europäischen Ebene. Fortan bedarf es einer der qualifizierten Mehrheit durch die Mitgliedstaaten, um der EU-Kommission das Hineinregieren in jedes nationale Politikfeld mit dem Ziel des Ausgleichs makroökonomischer Unterschiede zu unterbinden.

Zweitens, die Struktur der Risiken- und Finanzüberwachung ist in den letzten Jahren deutlich ausgebaut worden. Für makroprudentielle Belange gibt es den Europäischen Ausschuss für Systemrisiken; für mikroprudentielle Aspekte wurde das Dreigestirn von Europäischer Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, Europäischer Bankaufsichtsbehörde und Europäischer Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde geschaffen.

Wesentlich sichtbarer als die vielschichtigen Mechanismen der Finanzaufsicht auf der Europäischen Bühne ist jedoch der Eurorettungsschirm im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Er steht nicht nur als Kurzformel für Wortungetüme à la EU («Europäische Finanzstabilisierungsfazilität»), und damit für die immer unüberschaubarere Komplexität des europäischen Institutionengefüges. Vor allem soll er seit dieser Woche fünf Staaten Schutz vor den sauren Regungen der Finanzmärkte bieten.

Politik der kleinen Schritte
Alles in allem also scheinen schrittweise Politikentscheide und institutionelle Veränderungen in Richtung einer Stärkung der europäischen Ebene das Maximum zu sein, das die unterschiedlichen Interessenlagen zwischen den Niederlanden und Frankreich, Finnland und Griechenland, Slowenien und Portugal sowie Deutschland gegen alle zulassen. Geholfen hat das bisher wenig, um aus der Krise herauszufinden.

In jüngerer Zeit mehren sich zudem Stimmen, die nach dem Motto «jetzt oder nie» das Eliteprojekt europäische Integration durch Rekurs zu Volkes Stimme einer demokratischen Frischzellenkur zuführen wollen. Zweifelsohne ein längst überfälliges Unterfangen. Aber ob gerade in der schwersten Krise der EU der richtige Zeitpunkt dafür ist, die grundsätzlichen Probleme ihrer demokratischen Legitimation zu lösen, darf bezweifelt werden.

«Timewarp» für EU-Gipfel
Was können wir also erwarten von dem Tag, an dem sich die Staats-und Regierungschef zum x-ten Mal – wenngleich auf französischer und griechischer Seite in anderer Besetzung – treffen. Etwa einen Zeitsprung in der europäischen Integration in Form einer Banken-, Fiskal- oder gar Wirtschaftsunion?

Wir dürften wohl alle froh sein, wenn vom europäischen Gipfel statt des täglichen europäischen Rocky-Politik-Horrors des «Let's do the Time Warp again!» ein deutliches Signal im Sinne von Churchills famosem «Let Europe arise!» ausgehen würde. Das hätte Kultpotential aber nur, wenn den Bürgerinnen und Bürgern Europas das Freud und Leid der politischen Lösungsvorschläge verständlich nähergebracht werden würde.

Bild: Photocase / Krockenmitte

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