Forschung - 22.09.2022 - 00:00 

«Es wird deutlich weniger investiert, als versprochen wurde»

Die Klimarettung stockt. Nicht nur genügen die vorgelegten Reduktionspläne der unterzeichnenden Länder nicht, die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Auch die von den Industrieländern zugesagte Finanzierung von Klimaschutzprojekten in Entwicklungsländern liegt weit hinter den Versprechungen zurück. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie der Universität St.Gallen (HSG) und der ETH Zürich. Ein Interview mit Co-Autorin Dr. Anna Stünzi vom Institut für Politikwissenschaften der HSG.
Quelle: HSG Newsroom

22. September 2022

Anna Stünzi, wie ist die Finanzierung von Klimaschutzprojekten im Rahmen des Pariser Abkommens geregelt?


Das Pariser Abkommen spricht der Finanzierung von Klimaschutz eine zentrale Rolle zu. Aber bereits vor dem Pariser Abkommen haben die Industrieländer vereinbart, gemeinsam ab 2020 jährlich 100 Milliarden USD zu Verfügung zu stellen, welche Entwicklungsländer zur Reduktion von Emissionen und der Anpassung an den Klimawandel nutzen können. Dieses Geld kann über bilaterale oder multilaterale Kanäle sowie durch die Mobilisierung des Privatsektors bereitgestellt werden.

 
Was ist problematisch an der offiziellen Erhebung der Klimafinanzierungsprojekte?

Es gibt zusammengefasst zwei grosse Probleme: Erstens, gibt es keine klare Definition, was überhaupt als Klimafinanzierung gilt. Zweitens wird kritisiert, dass aktuell nur die Geberländer entscheiden, ob ein Projekt klimarelevant ist. Es gibt zwar einige Geberländer, die klare Regeln anwenden und jedes Projekt genau anschauen. Trotzdem sehen wir mit unserer Analyse, dass eben auch noch viele Projekte als Klimafinanzierung markiert werden, die tatsächlich sehr wenig mit Klima zu tun haben. Umgekehrt werden einige relevante Projekte auch nicht markiert. Dies führt dazu, dass der Vergleich und die Erhebung der aggregierten Finanzflüsse sehr schwierig sind. In der Vergangenheit kam auch die Kritik auf, dass einige Geberländer die Zahlen bewusst zu hoch rapportieren.

 
Wie wolltet ihr mit eurer Forschung diesem Problem begegnen?

Die Idee war ein Werkzeug zu kreieren, das einerseits ermöglicht, die Gesamtheit der Projekte auf ihren Bezug zu Klimawandel zu analysieren, und zwar mit einer einheitlichen, konsistenten Methode, die eben andererseits genau von verschiedenen Akteuren genutzt werden kann. Mit unserem Modell konnten wir über 2.7 Millionen Projekte über den Zeitraum 2000-2019 anschauen. Es braucht zwar auch weiterhin Expert:innenwissen, um den tatsächlichen Klimabezug zu entscheiden bei unklaren Fällen oder Projekten, welche mehrere übergeordneten Ziele haben. Unsere Idee mit ClimateFinanceBERT war aber, ein Tool zu schaffen, um eine erste, grossflächige Analyse und Klassifizierung zu machen. Dieses kann auch von Empfängerländern oder unabhängigen Institutionen angewendet werden und so eine ‚Zweitmeinung‘ zu den rapportierten Zahlen von Geberländern ermöglichen.

 
Wie seid ihr vorgegangen, um das wahre Ausmass der Klimafinanzierung zu ermitteln?

Wir haben ein zweistufiges Modell gebaut. Zuerst wird der gesamte Korpus der Projektbeschreibungen der internationalen Entwicklungszusammenarbeitsprojekte maschinell gelesen und eingeordnet, ob das Projekt entfernt einen Bezug zu Klimawandel hat. Anschliessend teilen wir die Projekte in detaillierte Kategorien ein, beispielsweise Adaptation oder Solarenergie. So haben wir aus über 2.7 Millionen Projekte die 82’000 identifizieren können, welche einen primären Fokus auf Reduktion von Emissionen und Anpassung an den Klimawandel haben. Wichtig zu erwähnen hierbei ist, dass wir nur die bilateralen Projekte angeschaut haben, also beispielsweise kein Geld, das über multilaterale Entwicklungsbanken oder Klimafonds gesprochen wird, obwohl auch diese Zahlen zum 100 Mrd. USD-Ziel beitragen. Die bilateralen Projekte machen gemessen am Finanzvolumen über die Untersuchungsperiode aber den grössten Teil aller rapportierten Klimaprojekte aus.

 
Was waren für Sie die wichtigsten Resultate?

Grundsätzlich sind die Zahlen, die wir finden, deutlich niedriger als die rapportierten Zahlen. Beispielsweise finden wir seit dem Pariser Abkommen relevante bilaterale Projekte in der Höhe von 30.3 Mrd. USD, deutlich weniger als von den Industrieländern kommuniziert. Es gibt einige Länder wie Kanada oder Portugal, die relativ ähnlich rapportieren, wie es unser Modell auch vorschlägt. Auch die Schweiz schneidet verhältnismässig gut ab. Es gibt aber auch andere, die deutlich zu viel rapportieren oder zu wenig, zum Teil sogar gleichzeitig. Das heisst, das selbe Land rapportiert Projekte, die eigentlich keine Klimaprojekte sind und andere nicht, die es eigentlich wären.

Ebenfalls interessant ist, wohin das Geld fliesst. Zwar sehen wir, dass viele Adaptationsprojekte finanziert werden und diese Gelder oft auch in Länder fliessen, welche sehr stark vom Klimawandel betroffen sind, beispielsweise in kleine Inselstaaten. Gleichzeitig ist das finanzielle Volumen niedrig, es fehlt also an genügend Geld für die Anpassung an den Klimawandel. 

Viel Geld fliesst in Energieprojekte in Länder mit mittlerem Einkommen, während die Volumen für die am wenigsten entwickelten Länder tiefer sind. Gerade diese bräuchten oft aber einen Zugang zur Finanzierung.

 
Was sind die gesellschaftlichen Implikationen Ihrer Studie?

Wir hoffen, dass wir mit unserer Forschung zu mehr Transparenz in der Berichterstattung beitragen können, was dem internationalen Prozess zur Erreichung des 100-Milliarden-Dollar-Ziels aber auch Verhandlungen über zukünftige Finanzierungsziele zugutekommen könnte.

Weitere Autoren der Studie sind:
Malte Toetzke, Group of Sustainability and Technology, ETH Zurich, Switzerland
Florian Egli, Energy and Technology Policy Group, ETH Zurich, Switzerland / Institute for Innovation and Public Purpose, UCL, UK

Bild: Adobe Stock / Parradee

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