Meinungen - 23.12.2014 - 00:00 

Energiezukunft: Bilanz und Ausblick

Medien beobachten die jüngsten energiepolitischen Entscheide in der Schweiz mit Skepsis. HSG-Energieexperte Rolf Wüstenhagen setzt sich mit den Argumenten der Skeptiker auseinander und legt dar, warum die Energiestrategie mehr ist als «Illusion», «Subvention» und «Chaos».
Quelle: HSG Newsroom

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22. Dezember 2014. In den Redaktionen der Schweizer Printmedien scheint man sich für einmal einig zu sein. Glaubt man dem Presseecho auf die Herbstsession des Nationalrates, so ist die Schweiz energiepolitisch auf dem Holzweg. «Eine Strategie sieht anders aus», «Nationalrat öffnet Schleusen für Subventionen», «Energiewende stürzt die Stromversorgung ins Chaos» – so tönt es von Basel über Bern bis ins neue Zürich. Was ist in jenen Adventstagen in Bundesbern passiert? Wurde die Zerschlagung der Grossbanken beschlossen? Die Abschaffung des Männerwahlrechts? Die Verstaatlichung der Neuen Zürcher Zeitung?

Nichts von alledem. Die Volksvertreter haben das getan, wofür sie gewählt wurden: In einem komplexen, für die Zukunft der Schweiz enorm wichtigen Themenbereich versucht, für ausgewogene Lösungen politische Mehrheiten zu finden. Man muss es nicht gerade euphorisch als Sternstunde der parlamentarischen Demokratie feiern, und Entscheidungen kritisch zu hinterfragen, ist die ureigenste Funktion unabhängiger Medien. Wir sollten uns an dieser Stelle aber noch einmal in Erinnerung rufen, was eigentlich der Grund für die Energiestrategie 2050 ist.

Energie- und Klimarisiken mindern

Erstens ist die Schweiz im Energiebereich stark vom Ausland abhängig. Nicht-erneuerbare Energieträger wie Öl und Uran, die rund drei Viertel unseres Energieverbrauchs decken, müssen wir aus Weltregionen importieren, die sich im abgelaufenen Jahr als politische Pulverfässer erwiesen haben. In der Energie-Aussenhandelsbilanz klafft ein Loch von über 10 Milliarden Franken pro Jahr, die fossilen Importe neutralisieren rund die Hälfte der Exporte der international erfolgreichen Uhrenindustrie. Zweitens schreitet der Klimawandel ungebremst voran. 2014 wird als das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen in die Geschichte eingehen, und extreme Wetterereignisse haben im Tessin Menschenleben gekostet.

Die internationale Klimapolitik kam jedoch auch beim UN-Gipfel in Lima nicht über ein «too little, too late» hinaus. Ein dritter Faktor sind die nuklearen Risiken: Die drei Schweizer Reaktoren Beznau 1+2 und Mühleberg belegen in der Hitliste der ältesten auf der Welt noch in Betrieb befindlichen AKW die Plätze 1, 4 und 6 – ein Anachronismus in einem Land, welches in vielen Bereichen Technologieführerschaft für sich beanspruchen kann. Der Neubau von AKW ist im Volk nicht mehrheitsfähig und da wo er – wie in Grossbritannien – angepeilt wird, beruht er auf staatlichen Garantien, die die deutsche Solarstrom-Förderung in den Schatten stellen.

Die Stossrichtung der Energiestrategie, nämlich schrittweise von nicht-erneuerbaren auf erneuerbare Energien umzusteigen und dabei grossen Wert auf Energieeffizienz zu legen, ist vor diesem Hintergrund die logische Konsequenz und geniesst grossen Rückhalt in weiten Teilen der Bevölkerung. Tausende Projekte für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und wegweisende Initiativen von Gemeinden und Regionen zeigen, dass die Schweizerinnen und Schweizer den Worten auch Taten folgen lassen. Warum also die schlechte Presse?

Drei Hauptkritikpunkte

Aus meiner Sicht dreht sich die Kritik der Skeptiker um drei wesentliche Aspekte, die sich auf die Begriffe «Illusion», «Subvention», und «Chaos» zuspitzen lassen. Der Vorwurf, die Ziele der Energiestrategie seien illusorisch, trifft vor allem die Absicht des Bundesrates, den Energieverbrauch zu senken. Es ist richtig, dass ein abnehmender Energieverbrauch eine Trendumkehr bedeuten würde. Trendbrüche sind für die menschliche Vorstellungskraft eine Herausforderung, andererseits ist ein ewig fortwährendes Wachstum ebenso wenig plausibel. Weder beim Festnetz-Telefonieren noch bei der Nahrungszufuhr haben wir in den letzten Jahren zugelegt, und doch geht es uns nicht schlechter als zuvor.

Die Anbieter von Diäten erfreuen sich sogar einer florierenden Nachfrage bei gesundheitsbewussten Bürgern. Wenn es um den Energieverbrauch geht, so schwingt auch die Angst vor staatlicher Bevormundung, ja Rationierung mit. Dabei geht vergessen, dass es auch persönliche Sättigungsgrenzen oder technologische Innovationen – man denke an hocheffiziente LED-Leuchten oder e-Bikes – sein können, die den Konsum an nicht erneuerbaren Energien zurückdrängen. Und dass Nichtstun keine Garantie dafür ist, dass wir nicht eines Tages von äusseren Faktoren mit Grenzen konfrontiert werden.

Der zweite Kritikpunkt «Subvention» trifft vor allem die Förderung erneuerbarer Energien. Die Kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) hat sich zum roten Tuch der Energiewende-Skeptiker gemausert. Das führt zu bemerkenswerten Koalitionen: Liberale Politiker, modellgläubige Ökonomen und die AKW-Lobby rufen unisono nach «mehr Markt» und fordern den Umstieg auf Quotenmodelle oder Lenkungsabgaben, die in den Lehrbüchern der Ökonomie als «first-best solutions» gepriesen werden.

Wer jedoch nach in der Realität funktionierenden Umsetzungen solcher Instrumente fragt, kann lange suchen. Der EU Emissionshandel und seine Anfälligkeit für politische Einflussnahme einiger weniger Wirtschaftssektoren bietet Anschauungsmaterial zuhauf. Ob alle, die jetzt nach Lenkung statt Förderung rufen, im nächsten Jahr die Initiative «Energie- statt Mehrwertsteuer» unterstützen, wird sich weisen. Falls nicht, stellt sich die Frage, wie lange man der Taube auf dem Dach nachweint, bevor man sich mit dem Spatz in der Hand anfreundet.

Bleibt also drittens, der «Chaos»-Vorwurf, oft verbunden mit dem Hinweis auf Entwicklungen in unserem nördlichen Nachbarland, dessen Energiewende flüchtigen Beobachtern als Projektionsfläche für alles dient, was schiefgehen kann. Vergessen geht dabei oft, dass die geographische Nähe auch eine Chance ist, sich konstruktiv-kritisch mit den Herausforderungen und Erfahrungen auseinanderzusetzen, die ein Land macht, das energiepolitisch einen vergleichbaren Weg mit höherer Geschwindigkeit eingeschlagen hat. Eine Atmosphäre des gegenseitigen Lernens ist keine Garantie für perfekte Lösungen, aber bei einem Generationenprojekt wie der Energiestrategie 2050 auf Anhieb überall alles richtig machen zu wollen, käme der Quadratur des Kreises gleich. Jeder Unternehmer weiss: Ohne kontrollierte Risiken einzugehen, ist noch keine Innovation gelungen.

Ein zuversichtlicher Ausblick
Wir haben heute die einmalige Chance, eines der wichtigsten Fundamente für die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz im 21. Jahrhundert zu legen. Die technologische Dynamik der letzten Jahre hat dazu geführt, dass der Umstieg auf Sonne, Wind & Co. für uns so günstig ist wie für keine Generation zuvor, dass intelligente Netze und emissionsarme Mobilität vor dem Durchbruch stehen. Nutzen wir diese Gelegenheit, so dass unsere Kinder im Jahresrückblick 2050 die Schlagzeile lesen: «2014 – Ein Meilenstein auf dem Weg zu einer klimafreundlich erfolgreichen Schweiz.»

Bild: Photocase / toast198

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