Veranstaltungen - 04.12.2014 - 00:00
4. Dezember 2014. Zu Gast auf dem Podium waren Prof. Dr. Ulrich Schmid, Russland-Experte an der Universität St. Gallen, Tuomo Talvela, Botschaftsrat und Leiter der politischen Sektion der Delegation der Europäischen Union für die Schweiz und das Fürstentum Liechtenstein, und Maksym Butkevych, Journalist und Menschenrechtsaktivist aus Kiev. Dr. Carmen Scheide, Leiterin des Center for Governance and Culture in Europe an der HSG, moderierte die Diskussion. Das englischsprachige Podium wurde von dem studentischen Verein Sicherheitspolitisches Forum St. Gallen organisiert.
Gefahr für das politische Gleichgewicht
Maksym Butkevych sprach für reformorientierte Kräfte der Maidan-Proteste in Kiev und betonte, dass ein Ende des Konflikts noch lange nicht absehbar sei. «Die ukrainische Unabhängigkeits-bewegung ist noch immer sehr stark. Der kommende Winter stellt aber eine Zerreissprobe für die Kräfte der freiwilligen Unabhängigkeits-Aktivisten dar», sagte er zu Beginn der Diskussion.
Als Journalist und Blogger stelle er immer wieder fest, dass die Wahrnehmung des Ukraine-Konfliktes je nach Standpunkt sehr unterschiedlich ausfalle. Die Propaganda der Massenmedien Russlands zeigte ihre Wirkung. In vielen russischen Sendungen würden Emotionen manipulativ zur pro-russischen Mobilisierung des TV-Publikums eingesetzt. Russland deklariere den Konflikt als Bürgerkrieg, während die Ukraine selbst die Auseinandersetzung als ukrainisch-russischen Krieg ansehe. «Der Konflikt zermürbt nicht nur die Ukraine», sagte Butkevych. Auch für die Nachbarregionen und Europa stelle die kriegerische Auseinandersetzung auf Dauer eine Gefahr für das politische Gleichgewicht dar.
Krieg aufgrund innenpolitischen Kalküls
Carmen Scheide erklärte, dass trotz vieler Anläufe der Organisatoren kein Vertreter Russlands für die Podiumsdiskussion gewonnen werden konnte. «Auch das ist ein Zeichen für die russische Wahrnehmung des ukrainischen Anliegens: Für Russland existiert eine eigenständige Ukraine nicht», sagte Butkevych.
Den «advocatus diaboli» gab Ulrich Schmid, Professor für Russische Kultur und Gesellschaft an der Universität St.Gallen. Er brachte den Konflikt und seine Rahmenbedingungen wie folgt auf den Punkt: «Es gibt keine Spaltung der Ukraine in einen pro-europäischen Westen und einen pro-russischen Osten. Der Krieg in der Ukraine dient vor allem auch innenpolitischen Interessen des Kremls: Der Konflikt löst eine Welle des Patriotismus in Russland aus. Putin will der russischen Bevölkerung zeigen, dass jeder Massenprotest unweigerlich in Chaos und einen Bürgerkrieg mündet.»
Die EU übernähme eine Rolle, die sie in diesem Konflikt ursprünglich nicht hätte haben wollen, sagte Ulrich Schmid. «Jeder Friedenskompromiss in diesem Konflikt ist für Russland bereits ein erreichtes Kriegsziel», sagte der HSG-Professor mit Blick auf die Rolle der OSZE. Die internationale Sicherheits-Organisation werde von Vladimir Putin instrumentalisiert, um den hybriden Krieg zu gewinnen.
«Die Annexion der Krim ist illegal»
Tuomo Talvela, Botschaftsrat und Leiter der politischen Sektion der Delegation der Europäischen Union für die Schweiz und das Fürstentum Liechtenstein (EEAS), sagte, dass die EU der Ukraine finanzielle und institutionelle Rückendeckung gegeben habe.
Darüber hinaus sei die Europäische Union aber nicht bereit, politische Entscheidungen der Ukrainischen Regierung zu beeinflussen, machte Talvela deutlich. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten, meinte Talvela, nutzten Sanktionen um eine friedliche Lösung zu finden. Dies sei, nach Talvelas Ansicht, der gemeinsame Nenner der EU-Massnahmen.
Talvela lehnte das Argument ab, dass Russland durch Sanktionen isoliert werden solle. Er erklärte hingegen, dass die EU-Sanktionen keine Strafen seien, sondern ein Anreiz für Russland, seine Strategie zu ändern. Er hob die friedensstiftenden Beweggründe hinter den Massnahmen der EU hervor und stimmte zu, dass das schlechte Investitionsklima in Russland und der schwache Rubel momentan einen starken Einfluss haben. «Die Annexion der Krim ist illegal», zitierte Talvela die offizielle Stellungnahme der EU in Bezug auf den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine.
Während der Diskussion mit dem Publikums kam zur Sprache, dass die EU zu lange gewartet habe, in den Konflikt einzugreifen. Aktuell lasse sie als Vertreterin des Westens die pro-europäischen Kräfte der Maidan-Bewegung gänzlich im Stich. EU-Vertreter Talvela wandte ein, dass die EU über einen angemessenen Massnahmenkatalog zur Unterstützung der Ukraine abgestimmt habe. Dies gelte auch für die Einreisebestimmungen. Es sei nachvollziehbar, dass pro-europäische Kräfte der Ukraine sich «not amused» zeigten, wenn Nachbarregionen aufgrund ihrer Nähe zu EU-Ländern bereits besseren Zugang hätten als ihre eigene Region.
Desillusion und Hoffnung auf ein Ende des Terrors
Bürger der Republik Moldau können seit April 2014 ohne Visum in die EU einreisen. Diese Entscheidung wurde durch die Ukraine-Krise beschleunigt. Die Ukraine ging leer aus, was vielerorts zu Desillusion unter den pro-europäischen Kräften der Ukraine führte, bedauerte Blogger Maksym Butkevych. Eine Erleichterung der Einreise in die EU für ukrainische Bürger sei auf kurze Sicht nicht absehbar. Er hoffe, dass die Maidan-Bewegung weder von der Winterkälte noch vom Terror Putins zermürbt werde und sich auf Dauer eine eigenständige Demokratie entwickeln könne. Ulrich Schmid setzte in seinem Abschluss-Statement Hoffnung auf die Kräfte der Sanktionen, welche der Markt Russland auferlege.
Bild: Photocase / kallejipp