Meinungen - 22.03.2016 - 00:00 

E Pluribus Unum: Der amerikanische Vorwahlkampf

Bis im Juli an den Parteitagen der Demokraten und Republikanern die Präsidentschaftsanwärter offiziell ernannt werden, zieht der Tross von Kandidierenden von Staat zu Staat, von Alabama bis Wyoming, scharf beobachtet von Wählern und Medienschaffenden. Ein Meinungsbeitrag von Claudia Franziska Brühwiler.
Quelle: HSG Newsroom

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23. März 2016. Der Vorwahlkampf ist eine der Eigenheiten des amerikanischen Systems, das auch die Kandidatenkür demokratisiert hat – dies allerdings erst vor wenigen Jahrzehnten. «Das amerikanische Volk betrachtet den Präsidentschaftswahlkampf als Teil der täglichen Unterhaltung. …

Die Leute erwarten Theater, Pathos, Intrige, Konflikt, und alles soll zu einem dramatischen Paket zusammengeschnürt sein», bemerkte der Politstratege und Berater der Demokratischen Partei Charles Guggenheim, der einst in den 1950er-Jahren den späteren UN-Botschafter Adlai Stevenson im Wahlkampf unterstützte. Ausgerechnet jener Teil der Wahlen zeichnet sich durch besonderen Unterhaltungswert aus, den Stevenson und seine Zeitgenossen noch anders erlebten als ihre politischen Erben: der Vorwahlkampf.

Krönung oder Demokratie?

Heute wählen in sämtlichen U.S. Staaten sowie im Bundesdistrikt Washington, D.C., und in den fünf bewohnten U.S. Territorien (auf Puerto Rico, den Jungferninseln, den Nördlichen Marianen, Guam und Amerikanisch-Samoa) Anhänger beider politischen Lager die Delegierten für den grossen nationalen Parteitag. Dort werden diese den offiziellen Präsidentschaftskandidaten – respektive wohl erstmals eine Kandidatin – bestimmen. Wie diese Vorwahlen vonstattengehen, regeln die Parteien vor Ort.

Die Vielfalt an Auswahlverfahren ist entsprechend gross und reicht vom berühmten Caucus-System im Agrarstaat Iowa, in dem sich Parteimitglieder in den Gemeinden treffen und über das Kandidatenfeld debattieren, bis zu sogenannt offenen Primaries, an denen auch Parteilose mitmachen dürfen. Und während sich in den einen Staaten die Delegierten nach Stimmenanteil auf die verschiedenen Kandidaten aufteilen, herrscht andernorts die Devise «The Winner Takes All», wonach alle Delegiertenstimmen auf den meistgewählten Kandidierenden entfallen.

Einige Delegierte werden im Juli indessen an den Parteitag reisen, ohne dem Wählerwillen gehorchen zu müssen: «Superdelegierte» der Demokratischen Partei oder die «unpledged delegates» der Republikaner stammen aus den Reihen der Parteiführung und können ihre Stimme frei abgeben – zumindest in der Theorie.

Am nationalen Parteitag wird Geschlossenheit gefordert, weswegen sämtliche Kandidaten ihre Delegierten bitten, ihre Stimme dem Sieger oder der Siegerin des Vorwahlkampfes zu geben. Die «National Conventions» sind damit mehr Krönungsmesse denn Wahlveranstaltung. Doch dies war nicht immer der Fall: Noch bis in die 1970er Jahre fand die eigentliche Vorwahl am Parteitag statt.

Selbst wenn ein Kandidat sich in keinem einzigen Staat der Wählermeinung gestellt hatte, konnte er sich die Nominierung sichern, sofern ihn die Parteielite stützte – so geschehen 1968, als Hubert Humphrey das Wahlticket der Demokraten erhielt, während es ausserhalb des Parteikonvents zu Ausschreitungen kam. Schon Theodore Roosevelt beklagte bei seinem Anlauf für eine dritte Amtszeit, dass die wenigen Vorwahlen, die damals abgehalten wurden, nicht bindend waren.

Der vermeintliche Aussenseiter

Mit der Demokratisierung der Vorwahlen begann der Aufstieg eines Kandidatentypus, der zuvor am Veto der Parteioberen scheitern musste: der (vermeintliche) Aussenseiter. Vom glücklosen libertär-konservativen Barry Goldwater bis zum späteren Ideal-Republikaner Ronald Reagan betonten immer mehr Kandidierende ihre Distanz zu Washington und den elitär-verfilzten inneren Machtzirkeln.

Dennoch galten lange dieselben Spielregeln des Vorwahlkampfes. Erstens würde derjenige am ehesten triumphieren, der die meiste Unterstützung von den Kongressabgeordneten seiner Partei erhält. Zweitens müsse der Kandidat es verstehen, einerseits unter der Stammwählerschaft jene Gruppen zu identifizieren, die mit seiner Grundhaltung übereinstimmen, andererseits sich aber auch früh für die Mitte wählbar zu präsentieren.

Ausnahme vor der Regel

Im Republikanischen Vorwahlkampf scheint dieses Rezept nun kaum mehr erfolgsversprechend: Während sich wie gewohnt alle Kandidaten als Aussenseiter charakterisieren, sind es die aussichtsreichsten beiden tatsächlich. Senator Ted Cruz erfährt keinerlei Unterstützung seitens seiner KollegInnen aus dem Kongress, und Donald Trump sieht in der Partei ohnehin nur eine weitere Bühne, die er geschickt zu bespielen weiss, ohne sich deren Regeln zu unterwerfen.

Viele Beobachter beklagen den Kontrollverlust seitens der Republikanischen Führung; andere hoffen geradezu, dass es erstmals wieder zu einem nationalen Parteitag kommen könnte, der statt einer durchinszenierten Krönungsmesse wieder politische Auseinandersetzung bietet. Wie auch immer das Rennen nach den kalifornischen Vorwahlen im Juni ausgeht, es wird die «Grand Old Party» nachhaltig verändern. Bis dahin gilt jedoch: The show must go on.

Dr. rer. publ. Claudia Franziska Brühwiler ist Staatswissenschaftlerin mit Schwerpunkt American Studies.

Foto: fotolia kid_a

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