Meinungen - 11.03.2022 - 00:00 

Die Zukunft der Energie

Wie wirken sich der Krieg in der Ukraine, die Bedrohung ukrainischer Atomkraftwerke durch russische Streitkräfte und die drastische Erhöhung der Öl- und Gaspreise auf die Energiepolitik aus? Ein Gespräch mit Rolf Wüstenhagen, Professor für Management erneuerbarer Energien an der HSG.
Quelle: HSG Newsroom

Wie hätten Sie den Stand der Energiewende vor der aktuellen Ukrainekrise zusammengefasst?

Rolf Wüstenhagen: In einigen Ländern herrschte eine Aufbruchstimmung bei der Energiewende, beispielsweise in Deutschland und Österreich, wo die aktuellen Koalitionsregierungen im Angesicht des Klimawandels den Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich beschleunigen wollen. Aus anderen Ländern kamen gemischte Signale – in der Schweiz zum Beispiel sah man ein dynamisches Wachstum von Solarenergie und Elektromobilität, und doch sahen sich manche Politiker veranlasst, die vor fünf Jahren vom Volk beschlossene Energiestrategie 2050 wieder in Frage zu stellen.

Die Preise von Öl und Gas sind durch die Ukrainekrise stark angestiegen. Führt das nun wieder zu mehr Investitionen in die Förderung von fossilen Energieträgern?

Die aktuelle Preisvolatilität führt zu sehr unterschiedlichen Entwicklungen. Einerseits sind hohe Öl- und Gaspreise ein Anreiz zum Energiesparen und für die Investition in erneuerbare Energien, andererseits lassen sie auf den ersten Blick auch Investitionen in fossile Energieträger attraktiver erscheinen. In ressourcenreichen Regionen wie etwa der kanadischen Provinz Alberta hofft man darum, dass die durch die Klimapolitik eingeleitete Abkehr von Öl und Gas nun gestoppt werden könnte. Das ist aber eine sehr kurzsichtige Perspektive – der Klimawandel ist ein langfristiger Trend, und wenn wir jetzt noch mehr Emissionen verursachen, kommt uns das teuer zu stehen.

Gibt es auf der anderen Seite in manchen Ländern Anzeichen dafür, die Energiewende nun beschleunigen zu wollen?

Solche Anzeichen sieht man vor allem dort, wo man bereits gute Fortschritte bei der Energiewende erzielt hatte. Dänemark bezieht bereits über 40% seines Stroms aus Windenergie und hat seine einstige nationale Öl- und Gasgesellschaft in einen Entwickler von Offshore-Windparks umgebaut. Für solche Länder ist die Krise eine Bestätigung, auf dem eingeschlagenen Weg voranzugehen. In Deutschland spricht Finanzminister Christian Lindner (FDP) von erneuerbaren Energien als «Freiheitsenergie». Man hat erkannt, dass es nicht nachhaltig ist, stark von einem ausländischen Lieferanten fossiler Energien abhängig zu sein – weder ökologisch noch ökonomisch oder sicherheitspolitisch.

Wie schnell könnte sich der Westen durch erneuerbare Energieträger unabhängig von Russland machen?

Das kommt darauf an, wieviel Geld man bereit ist zu investieren und ob man auch zu unkonventionellen Massnahmen greift. Die Technologien sind vorhanden, Sonnen- und Windenergie zählen heute zu den günstigsten Formen der Stromerzeugung, und auch im Verkehr muss man nicht mehr auf ein Wunder warten, um vom Öl unabhängig zu werden, sondern kann zwischen einer Vielzahl von Elektroauto-Modellen wählen. An der UN Klimakonferenz in Glasgow (COP26) haben sich zahlreiche Länder und Unternehmen zum Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bekannt, und in der Schweiz hat das Volk in einigen Kantonen ein Verbot von Ölheizungen beschlossen. Die aktuelle Situation zeigt, dass solche Schritte nicht nur eine klimapolitische Notwendigkeit widerspiegeln, sondern auch aus sicherheits- und finanzpolitischer Perspektive kluge Entscheidungen waren. Man muss sich heute aber fragen, ob die bisherigen Beschlüsse den richtigen Zeithorizont hatten, oder ob wir die Umstellung nicht schneller vorantreiben sollten.

Welche Weichenstellungen müssten erfolgen, damit Länder nun nicht dazu verleitet sind, ihre Energieversorgung durch fossile Energieträger eines ausserrussischen Anbieters decken zu wollen?

Ich denke es braucht zweierlei. Erstens ist jetzt die Energiepolitik gefordert, einen Plan vorzulegen, der sowohl die kurz- als auch die langfristige Perspektive adressiert. Es ist nachvollziehbar, dass ein Teil der politischen Aufmerksamkeit im Moment in die Frage fliesst, wie man kurzfristige Versorgungsengpässe löst, die durch die starke Abhängigkeit von Russland ausgelöst werden. Diese Feuerwehrübung müsste jedoch konsequent mit einer Investitionsoffensive in den Bereichen Energieeffizienz und erneuerbare Energien kombiniert werden, um das Problem bei der Wurzel zu packen. Zweitens muss die Klimapolitik konsequent weitergeführt werden, damit Investoren ihre Entscheidungen auf der Basis von Preissignalen treffen, die die knappe Aufnahmekapazität unserer Atmosphäre für CO² widerspiegeln.

Könnte sich die Ukrainekrise als «Fukushima» von Öl und Gas erweisen?

Es gibt tatsächlich Parallelen. Vor der Kernschmelze 2011 in Fukushima hatte es 25 Jahre lang keinen grösseren Unfall in einem Atomkraftwerk gegeben und die Bemühungen um eine Energiewende verloren allmählich an Schwung. Dann war von einem Tag auf den anderen plötzlich ein ganz anderes Bewusstsein für Energiethemen da, und es wurden wegweisende politische Entscheidungen getroffen. Was die heutige Situation anbelangt, so war unsere grosse Abhängigkeit von ausländischem Öl und Gas lange unter dem Radarschirm der öffentlichen Aufmerksamkeit. Kaum jemand wusste, dass die Schweizer Energieversorgung zu 72% vom Ausland abhängig ist. Der durchschnittliche Autofahrer machte sich nicht viele Gedanken darüber, woher das Benzin an der Tankstelle kommt, und wer sein Haus mit Erdgas heizte, dem kam wohl auch nicht in den Sinn, dass er damit am anderen Ende der Pipeline jemandem helfen könnte, einen Krieg zu finanzieren.

Bild: Unsplash / nasa

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