Campus - 23.10.2013 - 00:00 

Das Sesseltausch-Experiment

HSG-Professorin Miriam Meckel und Res Strehle, Chefredaktor der Schweizer Tageszeitung «Tages-Anzeiger», wechselten die Arbeitsplätze. Auch wenn keiner den anderen vollständig ersetzen konnte, nahmen beide wichtige Fragestellungen für ihren Arbeitsalltag mit. <br/>
Quelle: HSG Newsroom

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Für Res Strehle begann der erste Tag der Sesseltausch-Woche mit einer Vorlesung vor 40 Studierenden, das Thema: «Medien- und Kommunikationsmanagement». Überraschend für die Studierenden: der Chefredaktor des Tages-Anzeiger begann seine journalistische Laufbahn einst beim Studentenmagazin «Prisma».

Konvergenzprojekt auf dem Stundenplan

Res Strehle stellte in der Vorlesung, die sonst von Prof. Miriam Meckel gehalten wird, das Konzept der konvergenten Redaktion beim Tages-Anzeiger vor. Hier arbeiten alle Journalisten und Journalistinnen, egal ob Print oder Online, in einem Newsroom zusammen und unterstehen einer Chefredaktion. Definiert wurde diese Arbeitsweise in der «Chelsea-Declaration», die im gleichnamigen Stadtteil New Yorks entstand. Diese Einblicke aus der Praxis waren es, die Strehles Unterricht von einer normalen Vorlesung unterschieden und mit denen er bei den Studierenden auch so manchen Lacher provozierte.

Auch in seinem Seminar über die «Mensch-Maschine» am nächsten Tag nahm Strehle die Verknüpfung von Praxis und Theorie sehr ernst. Immer wieder ergänzte er Praxisbeispiele zu vorher besprochenen Theorien von Orwell, Huxley und Baudrillard. Er erzählte von «Faction»-Fällen, bei denen Journalisten erfundene Geschichten publizierten und gab Einblicke in die Auswahl von Onlineartikeln. So haben nicht alle Artikel, die online häufig angeklickt werden, auch eine Relevanz für die Papiervariante der Tageszeitung.

Später zeigte er sich beeindruckt von der Diskussion, die das Thema «Mensch-Maschine» bei den Studenten entfachte. Am intensivsten wurde die Frage diskutiert, ob wir unsere Individualität durch die Sozialen Medien verlieren oder ob gerade das Gegenteil der Fall ist.

Und obwohl er nur «Aushilfsprofessor» für eine Woche war, war seine Sprechstunde, die er regulär wie Miriam Meckel anbot, sofort ausgebucht. Die Meinung eines Praktikers zu Forschungsvorhaben und Geschäftsideen war offensichtlich bei den Studierenden sehr gefragt.

IT-Ausfall als Feuerprobe

Prof. Miriam Meckel verbrachte die Woche in der Redaktion des «Tages-Anzeiger». Hier war sie als Chefredakteurin in die täglichen Redaktionssitzungen eingebunden und verfasste gleich am ersten Tag einen Kommentar zur SRF-Dokumentation «Die Schweizer».

Dienstagabend erlebte Miriam Meckel dann ein Ereignis mit, das es in der 120-jährigen Geschichte des «Tages-Anzeiger» noch nicht gegeben hat. Aufgrund eines IT-Ausfalls war es nicht sicher, ob die Zeitung am nächsten Morgen erscheinen würde. Die Erleichterung kam um 01.30 Uhr in der Nacht, als die Computer wieder liefen und die Ausgabe fertiggestellt werden konnte, wenn auch in reduzierter Form. Für Meckel war dies die Feuertaufe, die sie bis zum Schluss aussass.

Höhepunkt der Woche war die Samstagsausgabe der Zeitung. Diese sollte Meckels Handschrift tragen und ganz dem Thema «Digitales Leben» gewidmet sein. Die Redakteure freuten sich über die Möglichkeit, Ideen abseits der üblichen Vorgaben des «Tages-Anzeigers» einzubringen. Und so schlug die Ausgabe mit QR-Codes zu jedem Artikel den Brückenschlag zwischen analoger und digitaler Welt.

Wertvoller Einblick in Theorie und Praxis

Sowohl Miriam Meckel als auch Res Strehle betonen, dass natürlich keiner den anderen komplett ersetzen konnte und dies auch gar nicht der Anspruch des Sesseltauschs gewesen sei. Vielmehr stand die Beobachtung im Vordergrund und das Lernen vom jeweils anderen Beruf.

So schreibt Miriam Meckel: «Ich habe aus dem ‘Sesseltausch‘ viele Fragen und Anregungen mitgenommen, die mich weiter beschäftigen werden. Eine davon lautet: Wie abhängig sind wir eigentlich inzwischen vom Netz?» und Res Strehle empfiehlt seinen Kollegen einen Sesseltausch. Dieser «erweitert den Horizont im besten Sinne und ist dazu geeignet, die Kluft zwischen Wissenschaft und Praxis zu verkleinern.»

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