Forschung - 29.09.2021 - 00:00 

«Chancenbarometer Schweiz»: Den Blick auf die Chancen richten

Schweizerinnen und Schweizer vertrauen der direkten Demokratie und blicken überwiegend optimistisch in die Zukunft. Dies zeigt das Chancenbarometer 2021. Die Studie leitet HSG-Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Tina Freyburg.
Quelle: HSG Newsroom

29. September 2021. Das Chancenbarometer ist eine repräsentative Umfrage, die jährlich in allen Regionen der Schweiz durchgeführt wird. Die Daten werden auf Deutsch, Französisch und Italienisch erhoben und sind anonym. Lanciert wurde das Chancenbarometer von Prof. Dr. Tina Freyburg und der LARIX Foundation. Dieses Jahr wurden vom 31. Mai bis 6. Juli 4530 Einwohner der Schweiz ab 16 Jahren befragt (Deutschschweiz: 3761, Französische Schweiz: 591, Italienische Schweiz: 178).

Zuversicht trotz globaler Herausforderungen

Globale Herausforderungen wie der Klimawandel oder die Corona-Pandemie beherrschen die Schlagzeilen. Aber auch Fragen wie die Beziehung zur EU, die Zukunft der Altersvorsorge, die Finanzierung des Gesundheitssystems oder die Zuwanderung beschäftigen die Einwohner dieses Landes. Gleichwohl schauen die Schweizerinnen und Schweizer durchaus mit Optimismus in die Zukunft, wie das Chancenbarometer 2021 zeigt. Im Vergleich zum Vorjahr ist der Anteil der Einwohner, die mit den gegenwärtigen Herausforderungen grosse Chancen verbinden, sogar leicht angestiegen, nämlich um fast zwei Prozent. Dieses Ergebnis bestärkt die Initiatoren des Chancenbarometers in ihrer optimistischen Haltung und war auch Anlass des ersten «Chancentags» am 29. September 2021.

Fünf zentrale Befunde der Studie

Schwerpunkt der Studie ist im Jahr 2021 das Thema «Vielfalt»: Die Initiatoren des Chancenbarometers zeigen auf, wie Diversität als Triebkraft für gesellschaftlichen Zusammenhalt genutzt werden kann und wie der Umgang mit ihr dabei entscheidend ist. Dies sind die fünf wichtigsten Befunde:

Befund 1: Bevölkerung sieht mehr Chancen als im Jahr 2020

Als grösste Herausforderung nimmt die Schweizer Bevölkerung die Finanzierung des Gesundheitswesens wahr, noch vor der Klimaerwärmung oder der Zukunft der Altersvorsorge. In allen diesen drei Bereichen sieht sie jedoch auch grosse Chancen für einen Wandel, am deutlichsten bei der Klimaerwärmung. Hier ist es mittlerweile ein Drittel der Schweizerinnen und Schweizer, die sehr grosse Chancen sehen. Der Anteil derjenigen, die gar keine Chancen damit verbinden können, sank dagegen auf lediglich 7,4 Prozent. Grosse Chancen verbindet die Bevölkerung auch mit der Digitalisierung. Hier ist die Sicht auf die Chancen sogar ausgeprägter als die Wahrnehmung als Herausforderung.

Befund 2: Chancen ergreifen, innovativ bleiben

Die Schweiz ist es gewohnt, in diversen Rankings zur Innovationsfähigkeit Spitzenplätze zu belegen. Kein Wunder: Innovation gilt als entscheidend für den Wohlstand unseres Landes. Die Stärken der Schweiz liegen in attraktiven Forschungseinrichtungen, einem ausgezeichneten Bildungssystem und der starken internationalen Vernetzung. Hinzu kommt ein ausgeprägter Unternehmergeist. Die Voraussetzung der politischen Stabilität ist nach Ansicht eines guten Drittels der Schweizer Bevölkerung voll und ganz erfüllt. Dies ist eine solide Grundlage, um Herausforderungen anzugehen. Bemängelt wird hingegen die fehlende konstruktive Kommunikationskultur – nur gerade sechs Prozent sehen diese Voraussetzung als gänzlich erfüllt an. Defizite sehen die Befragten auch bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die lediglich neun Prozent als gegeben betrachten. Besonders in diesen beiden Bereichen wären positive Veränderungen wichtig, damit die Schweiz ihre herausragende Stellung halten kann.

Befund 3: Zuversicht überbrückt den Stadt-Land-Graben

Vom Graben zwischen Stadt und Land ist in letzter Zeit häufig die Rede – nicht zuletzt auch, weil er politisch bewirtschaftet wird. Das Chancenbarometer zeigt, dass es diesen Graben im Hinblick auf die Wahrnehmung von Chancen kaum gibt. Die Zuversicht ist insgesamt hoch, sei es in der Stadt oder auf dem Land: Mehr als 70 Prozent sehen in den Herausforderungen grosse bis sehr grosse Chancen, wobei der Optimismus der Landbevölkerung nur um einen Prozentpunkt geringer ist.

Befund 4: Die Schweiz – in Vielfalt geeint

Obwohl die Schweiz ein kleines Land ist, kennt sie eine grosse Vielfalt – sprachlich, religiös, sozial und in zahlreichen weiteren Bereichen. Dennoch ist die kollektive Identität der Bevölkerung ausgeprägt und ein grosser Teil fühlt sich stark mit der Schweiz verbunden. Dies zeigt sich daran, dass 81 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer den politischen Institutionen ihres Landes Vertrauen entgegenbringen. Gegenüber ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern sind es 72 Prozent. Zudem engagieren sich 56 Prozent politisch oder zivilgesellschaftlich für das Gemeinwohl. Die Initiatoren des Chancenbarometers betonen, dass dieser gesellschaftliche Zusammenhalt den «Kitt» bildet, der Individuen zu einer Gemeinschaft werden lässt. Mehr noch: Gelingt es einer Gesellschaft, die Diversität ihrer Mitglieder produktiv zu nutzen, ist sie widerstandsfähiger und besser imstande, Krisenzeiten zu meistern.

Befund 5: Stimmbürger bevorzugen Kandidierende, die ihnen gleichen

Stimmbürgerinnen und Stimmbürger bevorzugen eher Kandidierende, die ihnen in soziodemografischer Hinsicht gleichen. Keinesfalls zu unterschätzen ist gemäss der Studie auch der Einfluss der Parteien auf die Wahlchancen: Es ist entscheidend, wen sie ins Rennen schicken, denn unabhängig von der konkreten politischen Ausrichtung der Kandidierenden steigen ihre Wahlchancen am stärksten, wenn die Befragten ihrer Partei nahestehen.

Fazit: Schweizerinnen und Schweizer sind optimistisch: Selbst in der Krise richten sie ihren Blick auf die Chancen. Gegenüber 2020 ist der Anteil der Schweizer und Schweizerinnen, die mit den gegenwärtigen Herausforderungen sehr grosse Chancen für positive Veränderungen verbinden, sogar um fast 2 Prozent gestiegen. «Das chancenorientierte Denken der Schweizerinnen und Schweizer und ihr Vertrauen in die politischen Institutionen kann ein «Enabler» sein, der Spielraum für neue Lösungen und Vorgehensweisen öffnet und einen Vertrauensvorschuss für mutige, zupackende politische Antworten gewährt. Es würde mich freuen, wenn das Chancenbarometer dazu beiträgt, unser aller Kopf etwas zu lüften, damit wir fokussiert und mit neuer Kraft gemeinsam die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen in den Griff kriegen», sagt Studienleiterin Tina Freyburg.

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