Meinungen - 11.03.2022 - 00:00 

Auswege aus dem Krieg in der Ukraine?

Nach zwei Wochen ist kein Ende der russischen Aggression in der Ukraine in Sicht. Fortgesetzte oder gar eskalierte Kampfhandlungen können zu einer humanitären Katastrophe führen. Indes ist bereits heute absehbar, dass es eine Lösung nur geben kann, wenn alle Seiten Zugeständnisse machen. Von Andreas Böhm.
Quelle: HSG Newsroom

11. März 2022. Mit der Invasion der Ukraine hat der russische Präsident Putin auch der europäischen Staatenordnung den Krieg erklärt. Der Widerstand dagegen erschöpfte sich zunächst weitgehend in Symbolpolitik, etwa der Beleuchtung des Brandenburger Tores in den ukrainischen Nationalfarben, dem Absetzen wohlfeiler Tweets oder der ausgesetzten Zertifizierung von Nord Stream II, die ohnehin noch lange nicht in Betrieb geht. Militärische Mittel wollen die NATO-Staaten in der Ukraine nicht einsetzen, um nicht einen nuklearen Konflikt zu entfachen.

Trotz Sanktionen Auswege anbieten

Als Reaktion auf die Aggression bleiben zunächst Sanktionen, die indes nur in bestimmten Konstellationen Wirkung entfalten. Sie sind nur zielführend, wenn sie als Baustein einer umfassenden Strategie eingesetzt werden. Um ihre Folgen zu vermeiden, soll der betroffene Staat in eine bestimmte Richtung oder zu einer Handlung gedrängt werden. Neben der Peitsche muss also auch das Zuckerbrot eines erstrebenswerten Ausweges angeboten werden. Auf diese Weise brachte man die Verhandlungen zum Atomabkommen mit dem Iran (JCPOA) auf den Weg.

Jedoch werden Sanktionen meist in anderen Konstellationen angewendet. Es soll ein Verhalten sanktioniert werden, das man missbilligt, ohne etwas dagegen tun zu können. Wenn sich die Kosten im Rahmen halten, handelt es sich um Symbolpolitik. Man zeigt Haltung, ohne dass dies Konsequenzen hätte. Darunter fallen zum Beispiel die Sanktionen, nachdem Russland die Krim besetzt hatte. Sie hatten keine irgendwie geartete Stossrichtung. Russland konnte die entstandenen Wohlfahrtseinbussen substituieren.

Sanktionen gegen missliebiges Regime meist kontraproduktiv

Richten sich die Sanktionen nicht gegen eine bestimmte Massnahme, sondern ein missliebiges Regime, fallen sie härter aus. Es wird Druck ausgeübt, um dem Regime zu schaden und Unmut unter der Bevölkerung zu schüren, mit der vagen Hoffnung, dass diese sich gegen die Regierenden stellt. Solche Sanktionen sind strategisch betrachtet meist nutzlos oder gar kontraproduktiv. In aller Regel resultieren daraus nur katastrophale humanitäre Zustände, ohne dass die Stellung der politischen und wirtschaftlichen Eliten des Landes signifikant beeinträchtigt würde. Im Gegenteil gelingt es diesen, ihre Macht auszuweiten, da sie die illegalen Wege kontrollieren, auf denen die Sanktionen umgangen werden. Bislang unabhängige Akteure werden in die Arme des Regimes getrieben, wenn Handelskanäle geschlossen werden. Beispiele wären u.a. Iran unter Trump, Kuba, Syrien oder Venezuela.

Auch nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine war man zunächst nicht gewillt, wirklich harte Massnahmen zu treffen – weil Europa selbst davon betroffen wäre. Sanktionen sind schliesslich ein zweischneidiges Schwert. So wollte Deutschland zunächst einmal nicht auf russisches Gas verzichten, Italien weiterhin Luxusgüter exportieren und Belgien Diamanten. Österreich sieht seine Banken exponiert, die Schweiz den Rohstoffhandel in Zug. Die Liste liesse sich fortsetzen.

Sanktionen gegen die Zentralbank der Russischen Föderation

Die Sanktionen gegen die Zentralbank der Russischen Föderation sind nun ein bemerkenswerter Schritt, der auf die russischen Devisenreserven abzielt. Diese werden auf bis zu 630 Milliarden Dollar geschätzt und sind, gemäss Putins eigenen Worten, die Garantie russischer Souveränität. Es handelt sich dabei zu einem grossen Teil um Einlagen beim IWF, der BIZ und anderen Zentralbanken, vor allem im Eurosystem. Wird der Zugriff auf die Devisenreserven erschwert oder gar entzogen, wird Putins Strategie, damit seinen Krieg zu finanzieren, durchkreuzt. Die Verluste könnten auch nicht durch die Goldreserven oder die Einlagen bei der Nationalbank Chinas substituiert werden.

Die Konsequenzen waren schnell sichtbar: eine massive Abwertung des Rubels und ein Sturm auf die Banken. Die Zentralbank versucht nun, eine Negativspirale zu verhindern, die den Finanzsektor als Ganzes in den Abgrund reisst. Zudem verfügen russische Unternehmen nicht länger über Devisen für den Import von Produktionsgütern, was die Wirtschaft früher oder später lahmlegt. Für den Luftverkehr ist dies bereits absehbar und für ein Land der Grösse Russlands katastrophal.    

Wie man diese Sanktionen einschätzt, hängt von der angestrebten Wirkung ab. Zunächst einmal ist es zu begrüssen, dass der Westen entschieden gegen Putins Aggression Stellung bezogen hat, hoffte dieser doch darauf, die vorherigen Differenzen weiter auszuspielen. Dieses Kalkül ist nicht aufgegangen. Doch auch dieser massive, gelegentlich als finanzielle Atombombe bezeichnete Schritt ist aus strategischer Perspektive nicht unproblematisch, müsste er doch von einer diplomatischen Initiative flankiert werden. Momentan verfestigt sich der Eindruck, es handele sich primär um eine Strafaktion.

Die Wahrscheinlichkeit, Putin durch Massenproteste zum Einlenken zu bringen, ist gering. Diese werden hart bestraft, zudem haben Analysen gezeigt, dass Diktatoren kaum auf Druck aus der Bevölkerung reagieren. Zu gut sind realen und digitalen Repressionsmassnahmen, um sich auch von Grossdemonstrationen nicht beeinflussen zu lassen. Um Macht anzugreifen, braucht es Gegenmacht, sei es militärische oder finanzielle. Viel eher als auf die Strasse reagieren Autokraten auf Druck aus den militärischen oder wirtschaftlichen Eliten. Auch der ägyptische Diktator Mubarak wurde nicht aufgrund der Opposition auf dem Tahrir-Platz gestürzt, sondern weil die Armee ihn fallenliess.

Bruchlinien innerhalb der Eliten Russlands auftun und nutzen

Was könnte man also tun? Ziel wäre es, Bruchlinien innerhalb der wirtschaftlichen und politischen Eliten Russlands aufzutun und zu nutzen. Diese haben Putin bedingungslose Loyalität geschworen. Sie beruht auf einer Umverteilung von unten nach oben, indem die Elite mit lukrativen, sprich massiv überteuerten Staatsaufträgen belohnt werden:  eine klassische Kleptokratie. Aber hielten sie diese Loyalität auch aufrecht, wenn sie dadurch heftige Vermögenseinbussen erlitte?

Ungeachtet der Wünschbarkeit, ist ein Sturz Putins derzeit unrealistisch. Zu stark sind die politischen und militärischen Strukturen auf ihn ausgerichtet. Sicher fühlen kann er sich nur an der Macht. Daher wird er sie verteidigen, koste es was es wolle. Womöglich selbst, wenn er realisieren sollte, dass er damit nicht nur den Gegner, sondern sein eigenes Land in den Abgrund reisst. Entsprechende Aussagen sind belegt, weswegen die Drohung mit atomarer Abschreckung ernst genommen werden muss.  

Stunde der Diplomatie schlägt

Hingegen zielt ein strategisches Vorgehen nicht darauf ab, Putin in die Ecke zu drängen, sondern Wege eröffnen, um die Konfliktspirale zurückzudrehen. Auch wenn mit Sanktionen im Energiebereich die Schrauben noch enger gedreht werden und wenn in Kürze die Konsequenzen der Sanktionen für die russische Wirtschaft offen zu Tage treten, schlägt die Stunde der Diplomatie. Putin müsste ein Ausweg aufgezeigt werden, der ihn sein Gesicht wahren lässt, selbst wenn es derzeit wenig Anzeichen gibt, dass er momentan darauf einginge.

Ein solches Vorgehen ist aus einer normativen Perspektive höchst unbefriedigend, ähnlich dem Ergebnis des ersten Golfkrieg 1990, als George Bush davon absah, einen Kriegstreiber und Massenmörder wie Saddam Hussein zu stürzen. Es widerspricht einem grundlegenden Gerechtigkeitssinn, Putin nicht zur Verantwortung zu ziehen. Doch Gerechtigkeit und politische Klugheit, das Wünschbare und das Machbare, fallen hier auseinander. Putin in die Ecke zu drängen, erhöhte nur die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Eskalation.

Je länger der Krieg andauert, je weiter die russischen Streitkräfte vorrücken und je stärker die Sanktionen wirken, desto höher werden die Hürden eines diplomatischen Auswegs. Zugleich steigen die Zahl der Opfer und die Gefahr einer nuklearen Eskalation.  

Putins Führungsanspruch hat Schaden genommen

Nimmt Putin einen Ausweg an, würde dadurch seine Macht nicht automatisch zementiert. Seine Fehlkalkulationen liegen offenbar. Weder gelang es, den Westen zu spalten, noch die Ukraine schnell und effizient einzunehmen. Sein Führungsanspruch hat Schaden genommen.

Vor allem ist die Beziehung zu China trotz beschworener Nibelungentreue angeschlagen. Präsident Xi Jinping stellt sich zwar demonstrativ an Putins Seite, hat aber vor allem Chinas nationale Interessen im Blick. Mit diesen lässt sich die Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine nicht vereinbaren. Wirtschaftlich betrachtet ist China an der Integration im Weltmarkt interessiert, deren Vorteile auch nicht durch billige Rohstoffe aus Russland substituiert werden können. Diese Interessendifferenz sollte im Hinblick auf eine Verhandlungslösung diplomatisch nutzbar gemacht werden.

Wie auch immer eine diplomatische Lösung im Detail aussehen wird, vermutlich wird keine Seite damit besonders zufrieden sein. Europa wird vorerst weiter mit Putin leben und diesen massiv sowie mit grossen Kosten abschrecken müssen. Putin hat sich selbst um den Wiederaufbau eines russischen Imperiums gebracht und die Ukraine wird mit viel Geld wieder aufgebaut werden müssen, aber kaum in den Westen eingegliedert werden. Den Preis hingegen, weitere Opfer und eine atomare Konfrontation verhindert zu haben, wäre auch eine solche wenig zufriedenstellende Lösung wert.

Dr. Andreas Böhm ist Direktor des Center for Philanthropy an der Universität St.Gallen und Lehrbeauftragter im Master of International Law.

Bild: Adobe Stock / Filipp

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