Meinungen - 21.12.2016 - 00:00 

Argentinien: Ein Jahr mit Macri

Wie steht es ein Jahr nach den Präsidentschaftswahlen um die politische und ökonomische Situation? Ein in Buenos Aires verfasster Kommentar von Nicolas Matthieu und Angélica Rotondaro, St.Gallen Institute of Management in Latin America (GIMLA).
Quelle: HSG Newsroom

22. Dezember 2016. Bei der Ankunft am Buenos Aires International Airport im vergangenen November war beim Versuch, Geld abzuheben, im wahrsten Sinne des Wortes nichts mehr im Geldautomaten verblieben. «No hay dinero», zeigte der Automat an. Auch bei zwei weiteren Banken konnten wir noch immer keine Pesos finden – eine Folge des dieser Woche vorausgegangenen Bankenstreiks. Eine weitere Enttäuschung in der Ära von Cristina Fernández de Kirchner und ihrem verstorbenen Ehemann. Nachdem sie zwölf Jahre an der Macht waren, kam heraus, dass auch in der Zentralbank nicht mehr viel Geld übrig war.

Seitdem haben sich viele Dinge verändert. Die Zentralbank ist nicht länger der Geldautomat der Regierung. Mauricio Macri feiert seinen ersten Jahrestag als Argentiniens neuer Präsident. Er ist der Spitzenkandidat der Opposition und Anführer der Cambiemos (Let’s Change), einer hauptsächlich aus politisch gemässigten, antiperonistischer Parteien bestehenden Koalition.

Die Wahl von Mauricio Macri kennzeichnet für viele einen entscheidenden Moment in der Geschichte Argentiniens. Es besteht grosse Hoffnung, dass die Ära des politischen Populismus unter der Regierung von Cristina – wie die Argentinier die ehemalige Präsidentin nennen – und ihrem verstorbenen Ehemann schliesslich ein Ende gefunden hat und die Türen für einen nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg Argentiniens offenstehen.

Kein sanfter Übergang

Doch der Übergang verlief nicht ganz reibungslos. Es ist verständlich, dass die Inflationsrate der letzten zwölf Monaten von 43,4 Prozent, eine offizielle Arbeitslosigkeit von 9,3 Prozent und die schwache Konsumentennachfrage nicht einfach über Nacht verschwinden. In einer Fernsehübertragung Anfang dieses Jahres sprach der neue Präsident von den vielen tickenden Bomben, die ihm von der vorhergehenden Regierung hinterlassen worden seien und die drauf und dran seien zu explodieren. Auch wenn der neue Präsident vielleicht nicht so telegen und charismatisch wie seine Vorgängerin ist, so kann man dennoch nicht leugnen, dass die vor der neuen Regierung liegenden Aufgaben zumindest als eine grosse Herausforderung bezeichnet werden können.

In der Wissenschaft wie in der Politik müssen grosse Probleme gelöst werden, da sie sonst verheerende Folgen haben können. Die neue Regierung versuchte schon früh, einige von ihnen zu bewältigen. Macri erleichterte die Währungskontrollen, reduzierte die Ausfuhrzölle auf landwirtschaftliche Erzeugnisse und leitete eine vollständige Überarbeitung des nationalen Statistikamtes ein. Die Arbolitos, illegale Geldwechselstände in der Avenida Florida in Buenos Aires Stadt, haben das Geschäft aufgegeben. Sie hatten jahrelang von der starken Verbreitung auf dem Schwarzmarkt profitiert.

Geldpolitik in Argentinien

Unter der Herrschaft der Kirchners führten Währungskontrollen, die zur künstlichen Eindämmung der Inflation veranlasst wurden, zu einer massiven Überbewertung des Peso und den niedrigsten Devisenreserven seit Jahren. Die Inflationsstatistiken wurden weitgehend diskreditiert und führten vor drei Jahren zu einem Zwist mit dem IWF. Die Beziehungen zwischen der Regierung und dem Landwirtschaftssektor waren seinerzeit so schlecht, dass die Bauern es vorzogen, Getreide und Sojabohnen in ihrem Lager aufzubewahren, als es zu exportieren. Hinzu kommt, dass der Mangel an Investitionen in die Infrastruktur des Landes dazu führt, dass das Energienetz des Landes jeden Sommer und jeden Winter, vor allem in der Hauptstadt, nahezu zusammenbricht.

Eines der weitreichendsten Probleme in sozioökonomischer Hinsicht war sicherlich die Abwesenheit und der Geisterstatus Argentiniens am internationalen Kapitalmarkt während der letzten 14 Jahre. Im April konnte der Präsident eine Vereinbarung über 9,3 Milliarden US-Dollar mit den Gläubigern Argentiniens aushandeln, die von Cristina gemiedenen «Geierfonds», und so den Zugang des Landes zum Kapitalmarkt wiederherstellen. Die hingehaltenen Gläubiger akzeptierten im Gegensatz zu den Gläubigern in den Jahren 2005 und 2010 keinen Erlass von Schulden, die zu zahlen das Land unfähig war, was 2014 zu einem erneuten Verzug führte.

Aber die Folgen der Entschärfung dieser Bomben, zum grossen Teil unvermeidlich, haben sich als schmerzhaft und unpopulär erwiesen. Eine dieser Bomben wäre aufgrund des ungeschickten Umgangs der neuen Regierung fast explodiert. Der rasche Anstieg der Preise für Versorgungsleistungen während eines der kältesten Winter des Landes führte nur sieben Monate nach ihrem Amtseintritt zu einer ersten Reihe tobender Proteste gegen die neue Regierung. Doch die Energiepreise in Argentinien sind seit Jahren viel zu niedrig. Unter den Kirchners wurden Wasser, Gas und Strom massiv subventioniert und erreichten etwa zwölf Prozent ihrer Gesamtausgaben im Jahr 2014 bzw. fast drei Prozent des BIP.

Vervierfachung der Gaspreise

Argentiniens Oberster Gerichtshof hob schliesslich die Vervierfachung der Gaspreise und den sechsfachen Anstieg der Strompreise auf. Er begründete dies damit, dass die Regierung die Bevölkerung, wie in der Verfassung festgelegt, hätte zu Rate ziehen sollen. Obwohl dies einen frühen Rückschlag für Macri darstellte, ist das Urteil ein wichtiges Zeichen für die Unabhängigkeit der Gerichte und der Stärke der Institutionen, ebenso wie es einige Wochen der Versuch war, das Wahlsystem zu reformieren und ein elektronisches Wahlprogramm umzusetzen.

In einem Land mit starken sozialen Bewegungen, einer Arbeitslosigkeit von 9,3 Prozent und einer Wirtschaftskrise mobilisierten die Gewerkschaften Anfang September zu massiven Protesten in den Strassen von Buenos Aires. Da Cristina schon bald für einen grossen Korruptionsskandal angeklagt werden könnte, braucht die neue Regierung gute Publicity. Die Parlamentswahlen sind für Oktober 2017 angesetzt.

Verbesserung des täglichen Lebens

Der Erfolg wird davon abhängen, ob die neue Regierung mehr potenzielle Probleme lösen kann und ob die Menschen die Verbesserungen in ihrem Alltag spüren können. Macri würde wahrscheinlich noch besser abschneiden, wenn er einige der Versprechungen einlösen würde, die er während seiner Kampagne gegeben hatte, zum Beispiel die Inflation in den Griff zu bekommen. Im Sommer stiegen die Preise um nur 0,2 Prozent, was darauf hindeutet, dass sich die Inflation endgültig verlangsamt – ein vielversprechendes Zeichen.

Seit der Rückkehr Argentiniens an den Kapitalmarkt verzeichnete das Land geringere ausländische Investitionen, als Macri angenommen hatte. Aber die Aussichten bleiben optimistisch. Nach Angaben des IWF wird die Wirtschaft in diesem Jahr um 1,5 Prozent des BIP schrumpfen, in 2017 aber um 2,8 Prozent wachsen. Die Popularität des Präsidenten ist laut Umfragen nach einem Rückgang im Juni nach dem argentinischen Frühling wieder deutlich angestiegen. Es besteht grosse Einigkeit darüber, dass die Wirtschaftspolitik unter den Kirchners das Land höchstwahrscheinlich noch eine ganze Weile verfolgen wird.

Die kühnen Massnahmen der neuen Regierung tragen sicherlich dazu bei, das Vertrauen der internationalen Investoren zu verbessern, den Übergang zu einem langfristigen wirtschaftlichen Wohlstand zu erleichtern und die zahlreichen Geldautomaten der Stadt Buenos Aires wieder aufzufüllen.

Picture: Fotolia / Henrik Dolle

north