Forschung - 02.07.2021 - 00:00 

Arbeitsrecht und Homeoffice während und nach der Pandemie

Flexible Arbeitsformen gewinnen in der digitalisierten Arbeitswelt immer mehr an Bedeutung. Das Homeoffice stellt jedoch ganz neue juristische Probleme. HSG-Arbeitsrechtlerin Isabelle Wildhaber bietet mit einem neuen Homeoffice Handbuch Orientierung für die Rechtspraxis in der Schweiz.
Quelle: HSG Newsroom

 

2. Juli 2021. «Die Digitalisierung flexibilisiert die Arbeitswelt. Eigentlich aber löst die Digitalisierung mehr Probleme, als sie schafft», sagt Prof. Dr. Isabelle Wildhaber, Expertin für Arbeitsrecht an der Universität St.Gallen (HSG). Sie ist Professorin für Privat- und Wirtschaftsrecht am Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitswelten und hat sich im Jahr der Corona-Pandemie intensiv mit den rechtlichen Besonderheiten des Homeoffice auseinandergesetzt.

Homeoffice: Vertrauen wichtiger als Kontrolle

«Im Homeoffice gilt: Vertrauen ist wichtiger als Kontrolle», sagt Isabelle Wildhaber. Eigenverantwortung und Vertrauen spielen im Homeoffice eine grössere Rolle als im Normalfall mit regulären Präsenzzeiten am Arbeitsplatz. «Arbeitgeber fahren besser, wenn sie den Mitarbeitenden Vertrauen schenken anstatt Prozesse zu kontrollieren, zumal die Kontrolle im Homeoffice schwierig ist», sagt Wildhaber. Umso mehr gilt das in Krisenzeiten, erläutert die Expertin: «Während Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie ist im Homeoffice die Treuepflicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer höher einzustufen als im Normalfall.» Zugleich hätten Arbeitgeber während Krisenzeiten eine höhere Fürsorgepflicht gegenüber ihren Arbeitnehmern. «Da es während der Pandemie viele juristische Grauzonen gab und gibt, ist es am sinnvollsten, das Gespräch zu suchen.»

Gesundheitsschutz und Arbeitszeiten

Ein wichtiger Faktor im Homeoffice ist der Gesundheitsschutz: Dieser muss auch im Homeoffice gewährleistet sein, sonst haftet der Arbeitgeber. «Dies ist vielen Arbeitgebern und Arbeitnehmerinnen nicht so bewusst. Auch die Arbeitszeitvorschriften müssen im Homeoffice eingehalten werden: In der Schweiz braucht es beispielsweise Sondergenehmigungen für Arbeit nachts und an Feiertagen». Homeoffice bedeute also Arbeiten zu vereinbarten Zeiten von zu Hause aus und gerade nicht: Jederzeit arbeiten, egal wann und egal wie, wie es manche im Kontext von «New Work» begreifen, betont die Expertin. «Alle am Arbeitsprozess Beteiligten sind an geltendes Arbeitsrecht gebunden, auch bei Homeoffice und auch zu Krisenzeiten. Dies vor allem zum Schutz der Arbeitnehmenden.» Mitarbeitende sind mitverantwortlich für eine ergonomische Arbeitshaltung und die Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften, im Konfliktfall hafte jedoch der Arbeitgeber.
 

Ein weiterer interessanter Aspekt ist für die Arbeitsrechtlerin das in der Schweiz geltende Verbot von Überwachungsmethoden und Spyware in Arbeitscomputern. Das Schweizerische Arbeitsrecht sieht auch nicht vor, dass Mitarbeitende zu Hause puncto Gesundheitsschutz und Ergonomie kontrolliert werden dürfen. In Deutschland werde dieses Zugangsrecht des Arbeitgebers zum Homeoffice hingegen manchmal vertraglich vorgesehen, erläutert Isabelle Wildhaber. Auch während der Pandemie seien Kontrollen bei Arbeitnehmern zu Hause im Homeoffice laut der Covid-19-Verordnung in der Schweiz nicht vorgesehen gewesen.
 

Grenzgänger, Versicherungen und Haftung

Auch Versicherungsfragen stellen sich im Homeoffice. Insbesondere bei Grenzgängern können sich Probleme mit der Sozialversicherung ergeben. Wieviel Prozent kann ein Grenzgänger im Homeoffice arbeiten, ohne im Land seines Wohnsitzes sozialversicherungspflichtig zu werden? Weiterhin stellt der beispielhafte «Sturz über den Legostein auf dem Weg zur Küche» in der Wohnung eine neue unfallrechtliche Herausforderung beim Homeoffice dar. Ist das ein Berufsunfall? Und Arbeitsstress ist ein wichtiger Punkt: Der Arbeitgeber ist letztlich verantwortlich für den durch Arbeitsbelastung erzeugten Stress, sollte es zu Gesundheitsproblemen kommen. Auch dazu gibt das Homeoffice Handbuch Auskunft und bietet eine Wegleitung für unterschiedliche Fälle.
 

Homeoffice Reglement in Betrieben

Unternehmen sollten gerade jetzt, nach der Lockerung der Covid-19-Massnahmen, unbedingt ein allgemeines Homeoffice-Reglement erstellen und ihre Mitarbeitenden damit vertraut machen, rät Isabelle Wildhaber. So werde auch die Selbstermächtigung und das Mitwirkungsrecht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Betrieb gestärkt.  «Informieren und anleiten halte ich für den besten Führungsstil in Sachen Homeoffice», sagt die Arbeitsrechtlerin. «Viel Kontrolle führt in den meisten Fällen zu Ineffizienz und demotiviert Mitarbeitende.» Zugleich halte sie es auch für wichtig, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern seitens des Personalmanagements aufzuzeigen, dass die Zeitsouveränität im Schweizerischen Arbeitsrecht Grenzen kenne. «Gleitzeit und Arbeitszeiten sind einzuhalten, dies gilt gleichsam für das Personal wie für die Betriebsleitung. Auch flexible Arbeitszeitmodelle müssen sich an das geltende Arbeitsrecht halten.», sagt Wildhaber.
 

Homeoffice Handbuch als Leitfaden für die Praxis

Das Handbuch behandelt in sieben Kapiteln die verschiedensten rechtlichen Aspekte des Homeoffice: Einführung und Beendigung (inkl. Anspruch und Pflicht), Kostentragung, Gesundheitsschutz und Arbeitszeitvorschriften, Haftung und Versicherung, Datenschutz und Datensicherheit, Steuern sowie grenzüberschreitende Sachverhalte. Damit bietet es den Nutzerinnen und Nutzern eine übersichtliche Darstellung der praxisrelevanten Problemfelder. Die einzelnen Kapitel sind jeweils von ausgewiesenen Expertinnen und Experten im entsprechenden Rechtsgebiet verfasst. Das Homeoffice Handbuch von Prof. Dr. Isabelle Wildhaber ist am 2. Juli 2021 erschienen.

Titel des Buchs: Wildhaber, Isabelle (Hrsg.): Homeoffice Handbuch, Dike Verlag, Zürich 2021.

Bild: Unsplash/ Jonathan Borba

 

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