Meinungen - 11.12.2015 - 00:00
11. Dezember 2015. In einem Anflug gelebter Interdisziplinarität haben sich fünfzehn HSG-Professorinnen und -Professoren aus mehreren Schools (SOM, SHSS, LS und SEPS) zusammengetan und das Netzwerk «Transcultural Workspaces» gegründet. Gemeinsam mit sieben Vertretern des Mittelbaus befassen sie sich aus disziplinär ganz unterschiedlichen Blickwinkeln mit transkulturellen Arbeitswelten. In Abkehr von üblichen Forschungsformaten wollen die Mitglieder einen Experimentierraum öffnen, der den Austausch über die Fachgrenzen hinweg intensiviert und neue Kooperationen ermöglicht. Dabei werden kulturwissenschaftliche Methoden und Erkenntnisse mit denen der Kernfächer verknüpft, um kultursensitive Fragestellungen in Unternehmen besser zu erfassen (z.B. Familienbande aus rechtlicher und betriebswirtschaftlicher Sicht). Nach einer Konstituierungsphase des grossen Verbunds werden sich voraussichtlich kleinere Knotenpunkte von zwei bis vier Beteiligten bilden, die auf klar umrissene Forschungsgegenstände fokussieren.
Wie und wo arbeiten wir?
Im Frühjahr 2016, nach mehreren Klausuren, will sich die gesamte Gruppe an eine Exkursion in ein grosses internationales Unternehmen mit Sitz in der Schweiz wagen. Anhand der ganztägigen Beobachtungen im ethnographischen Stil dichter Beschreibung werden die Teilnehmenden festhalten, was sie aus ihrer jeweiligen disziplinären Perspektive wahrnehmen, und gewiss auch, was sie verblüfft. Diese Aufzeichnungen über die transkulturellen Arbeitsbedingungen werden danach zusammengetragen, verglichen und dem Unternehmen vorgelegt. Die friedliche Invasion einer beachtlichen Truppe von HSG-Professorinnen und Professoren erfordert vom Konzern Offenheit und mutige Experimentierfreude.
Arbeitsräume als Abbild der Gesellschaft
Im Vorfeld soll aus einem Kriterienkatalog – Körpersprache, Raum, Zeit, Kommunikation, sprachliche Codes, Symbole, Macht/Hierarchie, gezeigte vs. gelebte Kultur, Fehler- und Konfliktkultur, Innovation, Kleidung – ein gemeinsamer Leitfaden ausgearbeitet werden. Die Raumkultur wird in einem ersten Schritt im Mittelpunkt stehen, ebenso die These, dass sich allgemeine transkulturelle Merkmale des Unternehmens und der Gesellschaft auf die Gestaltung der physischen Arbeitsräume überträgt. Transkulturalität verstehen wir als immer wieder neu auszuhandelnde, kulturelle Prozesse. Es geht somit um komplexe, hoch dynamische, um fluide Kreisläufe und Netzwerke in kulturellen Räumen jenseits territorialer Grenzen.
Setzen sich flexible Arbeitsraum-Programme zunehmend durch?
Die Analogien zwischen der gesamtgesellschaftlich gesteigerten Mobilität sowie globalen Vernetzung und vermehrt mobilen Arbeitsumgebungen gilt es zu untersuchen. Widerspiegeln sich die Verflechtungen kultureller Zugehörigkeiten in der Raumaufteilung eines Unternehmens? Setzen sich flexible Arbeitsraum-Programme zunehmend durch? Private Büros bzw. klassische Zellen- oder Grossraumkonzepte werden zunehmend abgelöst durch nicht territoriale, nicht personalisierte, nicht fest zugeteilte, täglich frei wählbare Büros und Schreibtische sowie offene Teamflächen. Hier gilt es zu betonen, dass – im Gegensatz zu den Arbeitsbedingungen im Grossraumbüro – Rückzugsmöglichkeiten in abgeschlossenen Räumen gewährleistet sind.
Informelle Begegnungen durch Arbeitsplatztausch
Das IT-basierte, ortsunabhängige Arbeiten, das Desksharing und -switching begünstigen zweifelsohne informelle Begegnungen in zwanglosen Netzwerken. Wie bereichert das Buchungssystem des Hoteling (IBM startete damit bereits 1994) mit flexiblem Mobiliar die Arbeitsmuster? Die bisherige Forschung hat gezeigt, dass sich Entscheidungsprozesse um 25% beschleunigen, oder der interne Mailverkehr sich um bis zu 50% reduziert. Des Weiteren sollen Agilität und Flexibilität die Innovationskraft und multiple Team-Mitgliedschaften das Experimentieren fördern. Manager wie Mitarbeitende werden zugänglicher, kooperativer und empathiefähiger, Hierarchien flacher. Die bessere Auslastung des Arbeitsraums spart Kosten bei den Liegenschaften und hat ein nachhaltigeres Umweltmanagement zur Folge – bis hin zur Reduktion des Papierverbrauchs aufgrund fehlender Ablageflächen im eigenen Büro.
Arbeitsumfelder und -abläufe ändern sich. Netzwerke und Flexibilisierungsanforderungen in Raum und Zeit (fluid offices) erzeugen mehr Adhokratie bzw. weniger Bürokratie, d.h. organischere, weniger formalisierte oder standardisierte Strukturen.
Umbruch der Arbeitsmodelle
Doch selbst wenn technologische Innovationen und globale Vernetzung einen Umbruch der Arbeitsmodelle, eine Flexibilisierung in Raum und Zeit mit sich gebracht haben, darf man doch danach fragen, ob das Gewohnheitstier Mensch tatsächlich dazu bereit ist, sein Container-Büro zu verlassen. Die Ansprüche auf Vernetzung und flexible Strukturen in Arbeitsprozessen zur Aufhebung von Grenzen, auch die multiplen Team-Mitgliedschaften fördern wohl einerseits die Experimentierfreude. Doch könnten diese aufgelockerten Strukturen und Routinen andererseits auch eine gewisse Unverbindlichkeit, Ablenkung und eine Beeinträchtigung der Konzentration mit sich bringen. Mitarbeitende sind nicht einfach auffindbar. Unzureichende Regelungen können Stress erzeugen. Vergibt man eine Chance, wenn man das Experiment der multiplen Arbeitsstandorte, Schreibtisch-Reservation und ungezwungener Treffen in freien Meeting-Räumen nicht einführt?
Mit «Transcultural Workspaces» bietet sich vielleicht auch der HSG eine Gelegenheit, Ideen zur künftigen Gestaltung der eigenen Raumkonzepte neu bzw. weiter zu entwickeln.
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